Gewaltloser Widerstand

Heute verleiht die EU den Sacharow-Preis für Menschenrechte an Ibrahim Rugova, Präsident der Kosovo-Albaner  ■ Von Erich Rathfelder

Nur wenigen aktiven Politikern gelingt es, schon während ihrer Amtszeit einen Menschenrechtspreis zu erhalten. Der Präsident der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova, ist so einer. Indem ihn das Europäische Parlament heute mit dem „Sacharow-Preis für Menschenrechte“ auszeichnet, ehrt es nicht nur einen würdigen Mann, sondern bezieht damit auch eine politische Position: Das Konzept des friedlichen Widerstands gegen die Gewalt wird damit gestützt.

Warum wird der Preis ausgerechnet jetzt verliehen, fragen sich aber manche seiner Landsleute. Denn Rugova ist im eigenen Lager zu einer umstrittenen Figur geworden. Bald nachdem er Ende März 1998 nochmals mit über 90 Prozent der Stimmen zum Präsidenten der Kosovo-Albaner gewählt wurde, begann sein Stern zu sinken. Die serbische Offensive gegen die kosovo-albanische Untergrundarmee UCK im letzten Sommer, während der ein gutes Drittel des Landes zerstört und ein großer Teil der Bevölkerung des Zwei-Millionen-Volkes zur Flucht gezwungen wurde, hat die Position Rugovas erschüttert. Konkurrierende Politiker wie der ehemalige Gefangene und politische Sprecher der „Kosova Befreiungsarmee“ UCK, Adem Demaqi, benutzen jede Gelegenheit, Rugova als „Weichling“ zu denunzieren.

Der Mann mit Hornbrille und Seidenschal ist sicherlich keiner, der zum Haudegen taugt. Der 1944 im Kosovo geborene Ibrahim Rugova ist auch als Politiker ein feinsinniger Intellektueller geblieben, der prinzipienfest zur Demokratie steht und dem nichts mehr zuwider ist als Gewalt. Der 1989 zum Vorsitzenden des kosovo-albanischen Schriftstellerverbandes gewählte Künstler und Professor hält Distanz zur Masse, will keine unkontrollierbaren Gefühle erzeugen, bleibt ein rationaler Mann. Und hebt sich so von anderen Politikern auf dem Balkan wohltuend ab.

Nach der Abschaffung der Autonomie Kosovas 1989 stieg Rugova zu einer Führerfigur auf. In einem Gespräch drückte er nach der Wahl zum Präsidenten 1992 seine Skepsis aus: „Ich mag Wahlen nicht, wo nur ein Kandidat zur Verfügung steht. Wir Kosovo-Albaner haben keine andere Alternative, als einheitlich aufzutreten. Ich wünsche mir aber freie Wahlen mit starken Konkurrenten in einem demokratischen Kosova.“

Bis 1995 trugen alle politischen Kräfte der Kosovo-Albaner prinzipiell die politische Strategie Rugovas mit. Beharrlich setzte er auf zivilen, gewaltlosen Widerstand gegenüber der serbischen Herrschaft. Weiter versuchte er, die wichtigsten Mächte der Welt für die Sache der Kosovo-Albaner einzunehmen. Seine größte Niederlage ist wohl, daß der Kosovokonflikt aus den Verhandlungen in Dayton ausgeklammert wurde.

Erst seit diesem Zeitpunkt wollten manche Aktivisten den pazifistischen Kurs nicht mehr mittragen. Die Studenten propagierten den Übergang vom passiven zum aktiven Widerstand. Die UCK begann 1996 mit Terroranschlägen auf Kollaborateure. Rugova entglitten die Zügel.

Seine demokratische Grundposition wurde plötzlich kritisiert. Der sanfte Rugova sah in den Augen mancher gegenüber dem ruppigen Milošević wie ein verknitterter Bittsteller aus. Sie forderten mehr Härte und Mobilisierungskraft. Der Vorwurf, Rugova habe sich wegen der internen Konflikte in der Baracke des Schriftstellerverbandes eingeigelt, lasse Kritiker nicht mehr an sich heran und führe seine Amtsgeschäfte mit einer kleinen Clique von Beratern, ist aber nicht ganz von der Hand zu weisen. Warum besuchte Rugova nicht schon im vergangenen Februar jene Gebiete, die von den serbischen Sicherheitskräften ins Visier genommen wurden, fragten sich selbst überzeugte Anhänger. Warum war er nicht an den Gräbern der Jashari-Familie? War es wirklich klug, die UCK als serbische Provokation abzutun?

Trotz aller Irritationen, das Volk wählte ihn Ende März erneut zu ihrem Präsidenten. Es wünschte sich weiter Einheit statt Spaltung, „Rugova–UCK, Rugova–UCK“ war der Slogan auf den Demonstrationen zu diesem Zeitpunkt. Rugova hat sich durch die kriegerischen Ereignisse des Sommers nicht irritieren lassen. Nach wie vor sieht er nur eine Möglichkeit, Kosovo in die Unabhängigkeit zu führen: Er will die USA und die Europäische Union davon überzeugen, daß es zu diesem Ziel keine Alternative gibt. Er setzt weiter auf Gespräche. Die OSZE-Mission ist in seinen Augen trotz aller Unzulänglichkeiten ein erster, richtiger Schritt. Er will eine legale und diplomatisch abgesicherte Lösung. Dafür kämpft er. Die Auszeichnung stärkt Rugovas internationale Position. Im Inneren könnte die Verleihung des Menschenrechtspreises jedoch auch anders verstanden werden: Die ausländischen Mächte wünschten sich einen gestärkten Rugova, um den bewaffneten Befreiungskampf zu diskreditieren. Die ihn verachtenden Radikalen haben die Brücken zu ihm abgebrochen. An Rugovas Grundüberzeugungen ändert dies freilich nichts.