Staatsempfang mit Schmollmund

Israels Regierung ist beleidigt, weil US-Präsident Bill Clinton erstmals den Gaza-Streifen besuchen will. Netanjahu zerbröselt derweil die Koalition. Protestierende Palästinenser kommen da gerade recht  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

„Falsche Erwartungen“ könnte der am Sonntag beginnende Besuch von US-Präsident Bill Clinton bei den Palästinensern wecken, warnte Ariel Scharon, Israels Außenminister, bei seinem jüngsten Besuch in Washington. Die palästinensische Autonomiebehörde habe das Gefühl, von den USA unterstützt zu werden. „Dieses Gefühl schafft eine Situation von zunehmender Gewalt“, erklärte Scharon. Die israelische Regierung ist verstimmt über Zeitpunkt und Ausmaß des Besuches von Clinton im Gaza-Streifen. Die erste Visite eines US-Präsidenten bei der palästinensischen Autonomiebehörde gilt in Israel als unwillkommene Unterstützung des palästinensischen Anspruchs auf einen eigenen Staat. Scharon drohte erneut damit, daß Israel die palästinensischen Gebiete annektieren werde, sollten die Palästinenser an der Proklamation eines eigenen Staates festhalten.

Noch ist nicht entschieden, ob Clinton mit seinem Amtsflugzeug Air Force One oder einem Hubschrauber auf dem neuen palästinensischen Flughafen in Dahaniyeh landen wird. Klar aber ist, daß er einen Tag in Israel und einen Tag im Gaza-Streifen verbringen wird. Dort wird er vor der palästinensischen Versammlung sprechen, die die Annullierung der PLO-Charta bekräftigen soll. Vor dem israelischen Parlament wird er dagegen nicht auftreten. Aus Verärgerung darüber sagte Knesset-Sprecher Dan Tichon die Teilnahme an allen Auftritten Clintons ab. An seinem „freien Tag“ wird Clinton überdies Bethlehem einen vorweihnachtlichen Besuch abstatten, was die israelische Regierung erneut zur Weißglut bringt. Zwar erklärte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der US-Präsident sei „in Israel jederzeit willkommen“. Doch äußerte er zugleich die Befürchtung, die Palästinenser könnten seinen Besuch „instrumentalisieren“. Nur wenn die Autonomiebehörde „voll und ganz“ die Bestimmungen des Wye-Abkommens umsetze, werde Israel seinen Teilrückzug fortsetzen, erklärte er in einem Fernsehinterview.

Doch viele Beobachter sehen darin eine bloße Schutzbehauptung, mit der Netanjahu die Umsetzung des Wye-Abkommens hinauszögern will, um das politische Überleben seiner eigenen Regierung zu garantieren. Weil weder die Opposition noch die Regierung sich einer Mehrheit sicher wähnten, wurde in der Nacht zum Dienstag die Abstimmung der Knesset über eine vorzeitige Auflösung des Parlaments und damit den Sturz der Regierung noch einmal um 14 Tage verschoben.

Die Verzögerung ist ein weiteres Indiz, daß Netanjahu seine Koalition nur halten kann, wenn er das Wye-Abkommen nicht umsetzt. Andererseits fürchtet die Rechte Neuwahlen, weil diese den Weg für eine linke Regierung ebnen könnten. Diese Befürchtung ist Netanjahus einziges verbliebenes Druckmittel gegenüber den rechten Rebellen.

Und so nutzt er die Demonstrationen der Palästinenser, um das Wye-Abkommen auszusetzen. Die Freilassung der in israelischen Gefängnissen sitzenden politischen Gefangenen ist für die Palästinenser entscheidend. Schon in den Oslo-Vereinbarungen war ihre Freilassung garantiert worden, ohne allerdings einen Zeitpunkt dafür festzulegen.

Um ihre Freilassung zu erzwingen, sind die 2.500 palästinensischen Gefangenen Anfang der Woche in den Hungerstreik getreten. Zahlreiche Familienangehörige haben es ihnen gleichgetan. Und die Demonstrationen zur Unterstützung der Gefangenen, bei denen bislang mehr als hundert Palästinenser verletzt wurden, zeigen, daß das Thema auch von der Autonomiebehörde nicht auf die leichte Schulter genommen werden kann.