Ministerium verschläft Babygift-Skandal

■ Trotz grüner Gesundheitsministerin: Bonn hofft auf Europa-Lösung und will nationale Alleingänge verhindern. Also passiert gar nichts

Ob die neue Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne) schon mal das Wort Phthalate gehört hat? Sie kann dazu nicht befragt werden. Und auch die Frage, wer sich im Ministerium mit den Verhandlungen um den krebserregenden Weichmacher in Kinderspielzeug beschäftigt, bleibt unbeantwortet: „Das geht niemanden etwas an“, sagte Ministeriumssprecher Hartmut Schlegel gestern zur taz.

Dabei ist die Rolle, die die Bonner Regierung bei den Verhandlungen um die Weichmacher einnimmt, mehr als zwielichtig. Als die Regierungen von Dänemark und Österreich der Verschleppungstaktik der EU-Kommission um wirksame Maßnahmen gegen den Stoff überdrüssig waren, kündigten sie an, Phthalate im Alleingang zu verbieten. Doch die frühere Bundesregierung sprach sich bei der Kommission gegen diese Verbote aus. Das koordinierende Wirtschaftsministerium unter Günter Rexrodt (FDP) lehnte handelshemmende Beschränkungen ab. In Brüssel fragten sich die Beamten, ob sich die deutsche Haltung nach dem Machtwechsel ändern werde. Immerhin hatten sie gehört, das nun eine grüne Bundesgesundheitsministerin mitregiert.

Gar nichts hat sich geändert – außer der Begründung für die lasche Haltung. Das Gesundheitsministerium argumentiert nun, eine gesamteuropäische Lösung sei „wirkungsvoller“ als eine nationale. „Die Deutschen haben immer großen Wert darauf gelegt, daß das auf europäischer Ebene bleibt“, sagte Sprecher Schlegel. Deshalb habe die Bundesrepublik sich auch gegen das Verbot in Österreich ausgesprochen.

Wenn allerdings ein Verbot der Weichmacher auf EU-Ebene nicht zustande kommt, bleiben nur nationale Lösungen als Ausweg. Ob das Gesundheitsministerium für diesen Fall eine solche Maßnahme erwägt oder gar ausschließt, bleibt offen. Der Ministeriumssprecher erklärte lediglich: „Wer den zweiten Schritt vor dem ersten tut, der fällt auf die Nase.“ Erst müsse nach einer europäischen Lösung gesucht werden.

Die Suche könnte noch lange dauern. Aus Sicht des Gesundheitsministeriums ist das aber offenbar überhaupt kein Problem: In Deutschland gibt es nach Darstellung des Ministeriums „nahezu kein derartiges Spielzeug“. Die Wirtschaft habe umgestellt, der Handel auf Importeure Druck ausgeübt, sagte Schlegel. „Babyartikel mit Phthalaten sind die ganz, ganz große Ausnahme.“

Demgegenüber will das Bundesinstitut für den gesundheitlichen Verbraucherschutz noch keine Entwarnung geben. Es gebe immer noch Spielzeug mit Phthalaten, erklärte Sprecher Thomas Schlicht. „Importeure, zum Beispiel aus Hongkong, wollen nicht auf den Weichmacher verzichten.“ Das Babygift in Beißringen ist weiter im Handel. Im Gesundheitsausschuß des Bundestags stand das Thema noch nie auf der Tagesordnung. Bonn wartet auf Europa. Georg Löwisch