Sexualität auf der einsamen Insel

■ Über den schwachen Mann zur Frau: Das 3001 zeigt die psychisch verdrehte Parallelwelt von Kevin DiNovis' furiosem Drama Surrender Dorothy doppelten Sinne

Wie viele Dimensionen hat ein Schnitt? In Kevin DiNovis' Surrender Dorothy funktioniert der Cut auf zwei Ebenen, steht am Ende des Films ein Schnitt vor dem nächsten: Trevor steht mit gezogener Pistole vor Lahn, will ihn zwingen, sich per Scherenschnitt seiner Männlichkeit zu entledigen, um so zu Trevors Geliebter „Dorothy“ zu werden. Die Kamera zoomt an Lahns Gesicht (grandios schwächlich: der Filmemacher selbst) heran und zeigt, wie sich sein Widerstand gegen diese scheußliche Selbstzerstückelung in einem Lächeln aufzulösen beginnt, und dann ... Schnitt! Aus und vorbei, es ertönen fröhliche Hochzeitsklänge, und der Abspann läuft. Was bleibt, ist ein ungutes Gefühl unterhalb der Gürtellinie und die Frage: Hat er, oder hat er nicht?

Was sich bislang wie der spektakuläre Höhepunkt eines Sex-Thrillers liest, beginnt als Charakterstudie zweier Außenseiter, die versuchen, in einem unsozialen Arrangement zueinanderzufinden. Trevor (selbstbewußt bis durchgeknallt: Peter Pryor) arbeitet als Tellerwäscher und besitzt eine eigenwillige Art zu onanieren. Während er sich Erleichterung verschafft, denkt der Frühdreißiger an Frauen, die Spa-ghetti essen. Dazu wühlt der Onanist mit einer Gabel derart heftig in seiner Mundhöhle herum, bis Blut fließt. Er leidet unter einem Trauma aus der Schulzeit, bei dem ihn eine Lehrerin für eine Prügelei bestrafte, indem sie ihm androhte, seine Zunge mit einer Schere herauszutrennen. Seitdem gehen Essen, Lust und die Gewißheit der eigenen Sexualität über den Weg der Zunge. Allerdings nur, wenn Trevor selbst Hand an sich anlegt.

Mit Frauen hat er seit jenem Erlebnis nichts am Hut, selbst wenn er wollte. Sein einziger sozialer Außenkontakt sind der Dealer Dennis und eben Lahn, ein langhaariger Junkie, der, nachdem er Dennis übers Ohr gehauen hat, bei Trevor Unterschlupf findet. Trevor nutzt diese Abhängigkeit aus und bietet Lahn den Deal an: Schuß gegen Entgegenkommen. Er befiehlt Lahn, seine Traumfrau zu werden, kauft ihm Frauenkalender und jubelt ihm Brustaufbaupräparate als Vitamine unter. Trevor sucht den Weg zur Frau über den Umweg des schwachen Mannes.

Eine gewagte These, die eigentlich nur durch die emotionale und intellektuelle Abgeschiedenheit Trevors zu legitimieren ist. Allein auf der Insel können solche Realitätsebenen zu einem seltsamen Leben gelangen. DiNovis' schwarz-weißes Regiedebüt von 1997 hat in seiner Heimat Amerika zahlreiche Preise als bester Underground-Film erhalten. Die eigene, in sich homogene Gestaltung einer psychisch verdrehten Parallelwelt scheint Abstand genug zu suggerieren. Tod wird dabei in Kauf genommen.

Oliver Rohlf

Do, 10. bis Mi, 16. Dezember, 22.30 Uhr, 3001