piwik no script img

Für einen Mundvoll Blut

Romantischer Nihilismus, vom Blatt gespielt: Peter Zadek inszeniert Sarah Kanes Gesäubert an den Hamburger Kammerspielen  ■ Von Christiane Kühl

Menschen, die im Museum erst den Bildtitel lesen, bevor sie sich das Bild selbst angucken, kann er nicht ausstehen, zumindest nicht verstehen. Mit Journalisten, die schon fünf Tage vor der Premiere wissen wollen, wovon das neue Stück handelt, hat er ähnliche Probleme. Schließlich weiß er das selber auch noch nicht, obwohl er Sarah Kanes Gesäubert bereits seit vier Wochen probt. Beunruhigenkann das Philipp Hochmair nicht: „Ich bin halt ein intuitiver Mensch.“ Als er im Februar das Textbuch mit seinen 20 kurzen, aneinandergeschnittenen Gewaltphantasien zum ersten Mal in den Händen hielt, hat er „gar nichts verstanden“, wie der 25jährige freimütig gesteht. „Aber ich wußte, Zadek macht das, und da wollte ich natürlich mitmachen.“

Daß Peter Zadek, der große Alt-Rabauke des deutschen Theaters, Kanes Cleansed als deutsche Erstaufführung an den Hamburger Kammerspielen zeigt, ist eine kleine Sensation und etwas größere Überraschung. Zehn Jahre nach Andi und Lulu kehrt Zadek, der sich seitdem vor allem an den großen Bühnen in Wien, Salzburg und München rumtreibt, nach Hamburg zurück – und das an ein 450-Plätze-Haus. Bewegt dazu, so wird gemunkelt, hat ihn die Lust, wieder mit Susanne Lothar zu arbeiten. Die in Hamburg lebende Schauspielerin steht neben ihrem Mann Ulrich Mühe zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder auf der Bühne.

Nicht weniger überraschend, daß der 72jährige sich 30 Jahre nach Edward Bond nun dessen Gegenstücks der Neunziger angenommen hat: Als Kanes Debütdrama Blasted (Zerbombt) 1995 in London uraufgeführt wurde, wurde es wegen seiner expliziten Darstellung physischer und psychischer Gewalt so aufgeregt diskutiert wie zuletzt Bonds Gerettet. Wobei Kane mit Martin Crimp und Mark Ravenhill einer ganz neuen Generation Londoner Dramatiker angehört und mit ihren 27 Jahren Zadeks Enkeltochter sein könnte.

Daß Zadek zu alt sein könnte, um die Lebenswelt der young british writers zu verstehen, bezweifelt Philipp Hochmair. Im Gegenteil: Diese Dialektik mache die Arbeit spannend. Für fünf Wochen hatte sich die kleine Truppe im Amerikahaus zum Proben eine hermetische Welt geschaffen, die nicht einmal zum Mittagessen verlassen wurde. Der einzige Kontakt zur Außenwelt waren die Telefonate mit Sarah Kane, denn, so Hochmair, „wir spielen alles ganz präzise so, wie es im Text steht“. Wenn seiner Figur Carl die Zunge abgeschnitten wird, dann gibt es also eine Plastikzunge und einen Mundvoll Theaterblut.

Für Hochmair, der sonst eher Klassiker dekonstruiert – zehn Produktionen hat er mit dem Hamburger Regisseur Nicolas Stemann gemacht – ist das Vom-Blatt-Inszenieren eine ungewohnte Arbeitsweise. Bereits nach einer Woche gab es die ersten Durchläufe, die Zadek – „der kann einfach grandios die Dynamik der Gruppe leiten“ – in Folge geschliffen hat. „Drei Wochen bin ich geschwommen, aber jetzt bin ich glücklich“, grinst Hochmair, den Zadek vom Fleck weg engagierte, als er ihn auf eine Empfehlung Arie Zingers hin in Salzburg als Franz Moor sah.

Ein Interview mit Sarah Kane, in dem die Autorin Gesäubert aus ihrer damaligen Lebenssituation erklärt – „Ich war unendlich depressiv und über beide Ohren verliebt, so daß ich diese zwei gegenläufigen Dinge nicht als Widerspruch empfunden habe“ – hatte begonnen, ihm das Stück zu erschließen. Kane schreibt von Folter, Verstümmelung, Inzest, schwulem Verrat, Drogen und Sadismus. „Es geht um Liebe und Tod. Darum geht alles“, faßt Hochmair zusammen. Und ist damit nicht weit von Kane, die ihre Stücke oft mißverstanden weiß, weil die Leute nicht sehen, daß „Nihilismus die extremste Form von Romantik ist“.

Premiere (ausverkauft): Sa, 12. Dezember, 20 Uhr, Kammerspiele

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen