Deconstructing Miles Davis

■ Die Gruppe des Trompeters Nils Petter Molvaer, die „Subharmonics“, nahm im KITO den Jazz auseinander

Zuerst klang es nur laut und brachial! Die vier Musiker zerstückelten mit viel Geschick die musikalischen Formen und spielten die Ohren der ZuschauerInnen wund. Daß dies in erster Linie ein dramaturgischer Trick war und daß die Band mit dieser Dekonstruktion ersteinmal musikalisch reinen Tisch machen wollte, bekamen all die ZuhörerInnen gar nicht mehr mit, die schon nach der ersten Viertelstunde in nicht unerheblicher Zahl das Konzert der „Subharmonics“ im KITO verließen. Die vielen jungen Konzertbesucher, die meist im „teilbestuhlten“ KITO auf dem Boden hockten, konnten mit Genugtuung feststellen, daß vor allen Dingen die alteingesessenen Jazzfans das Feld räumten. Sowas schweißt die Gemeinde zusammen.

Aber man konnte schon am kunstvollen Zerstückeln erkennen, daß die vier Bandmitglieder durchaus zielgerichtet zuschlugen, und langsam schienen dann doch Strukturen, Rhythmen und einzelne schöne Tonfolgen durch – die „Unterharmoniker“ machten alles andere als primitive Musik. Der Trompeter Nils Petter Molvaer spielte nur wenige Soli im traditionellen Sinn. Viel öfter bastelte er Soundpartikel zusammen: Einzelne geblasene Töne, die er mit Verzerrern, Soundcomputer und anderen Effektmaschinen mehr an den Drehknöpfen und Pedalen als mit dem Mund zu erzeugen schien. Zum Teil drehte er sie auch ganz ohne sein Horn aus einem kleinen Zauberkasten auf seinem Pult heraus. So konnte er extrem unterschiedlich, artifiziell und vielstimmig spielen. Der Solist im klassischen Sinne war da eher der österreichische Gitarrist Martin Koller: Ein vielseitiger Instrumetalist, der genauso gut Popriffs und elektronisch-abstrakte Soundcollagen spielen konnte. Er und Molvaer schienen auch am meisten aufeinander zu hören.

Die beiden US-amerikanischen Musiker wirkten wie die Gegenpole der Band. Die Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington spielte am organischsten. Ihr Beat groovte auch dann noch, wenn ihre Mitspieler am heftigsten dekonstruierten, und ihr ist es wohl auch zu verdanken, daß nach etwa einer Stunde einige Konzertbesucher tatsächlich anfingen zu tanzen (obwohl sie bei jedem Takt genau hinhören mußten, um den passenden Beinschlenker zu finden). Das einzige Percussionsolo des Abends spielte aber nicht die Drummerin, sondern „World Champion DJ“ Carlos Soul Slinger, der Rhythmuspartikel aus der Konserve abrief und sie so sampelte, daß dabei ein aufregendes und in sich durchaus stimmiges Solo auf den verschiedensten Schlaginstrumenten entstand. Slinger ist der Meisterzerstückler der Band, er arbeitet mit einer Unmenge von Versatzstücken und Soundbites. Radiostimmen in Sprachen aus allen möglichen Ländern wurden unter die Musik gemischt, was dem Soundteppich eine unerklärlich poetische Qualität gab.

Dies war bestimmt kein schönes, aber ein sehr spannendes Konzert. Manchmal schienen die Musiker selbst noch nicht so recht zu wissen, wo es langgeht. Nicht umsonst gibt es von dieser Formation noch keine CD. Sie experimentieren wohl noch, und am Dienstag abend durften wir an einer ihrer betont unfertigen Sessions teilhaben.

Wilfried Hippen