Barvogel sucht Bettgenossen

■ Lehrjahre einer 19jährigen: Für den „Fallen Angel“ in Carine Adlers Spielfilmdebüt „Under The Skin“ gibt es jedoch einen Ausweg

Dialoge am Telefon und auf der Straße sind die Richtschnur von „Under The Skin“, dem ersten Spielfilm der Dokumentarfilmerin Carine Adler. Seit dem Tod der Mutter trägt Iris (Samantha Norton) deren Pelz, die geerbte graublonde Perücke und eine altertümliche rosa Sonnenbrille. Das sieht ein bißchen verrucht aus, weswegen Iris' Schwester Rose (Claire Rushbrook) messerscharf folgert: „Du siehst aus wie eine Schlampe!“ „Danke“, antwortet Iris kühl und hofft insgeheim, daß die ältere Schwester, von Rushbrook ganz im Stil der großherzigen, aber biederen Reihenhausmaus verkörpert, die sie in Mike Leighs „Secrets and Lies“ spielte, mal nach dem Warum fragt.

Die Fragen aber, die im weiteren Verlauf des Films mit Stutenbiß und Gezeter besprochen werden, sind ganz anderer Natur. Da geht es um einen geerbten Ring, den die eine versteckt und die andere will, um eine Urne, die scheinbar verlorengeht – alles vor dem Hintergrund schwesterlicher Konkurrenz. Rose meckert über ihren dicken schwangeren Bauch und jammert, wie sehr sie „Mom“ (Rita Tushingham) vermißt, Iris verläßt ihren Freund und zieht in ein dämmriges Ein-Zimmer-Apartment. Aber ihre Trauer pflegt jede eifersüchtig für sich allein.

Vor der zugigen Kulisse Liverpooler Straßenfluchten folgt die Kamera (Ken-Loach-Spezi Barry Ackroyd) ganz der ruhelosen Perspektive, die das Drifter-Dasein der 19jährigen Iris vorgibt. Sie versteigt sich zunehmend in eine Existenz aus abgelegten Kleidern und schnellem Sex mit Pub-Bekanntschaften. Wenn sie dann rücklings im Minirock auf dem Bett liegt und, am Schlüpfer rubbelnd, masturbiert, erinnert das fatal an einen anderen „Fallen Angel“, nämlich die mysteriöse Killerin aus Wong Kar-Weis Filmen. In Hongkong allerdings geht man wohl kaum in die Kirche und lauscht Chorgesängen, um dabei sexuellen Großtaten nachzuhängen. Dieser lustvolle Clinch mit christlicher Moral ist den Briten vorbehalten.

Sex, Tod und Trauer gehen in „Under The Skin“ eine klebrige Verbindung ein, die darin gipfelt, daß zwischen die Etappen von Iris' erster Nacht mit einem Fremden die Stadien der Verbrennung von Mutters Sarg geschnitten sind. Anders als die Mittdreißigerin Sue in Amos Kolleks deprimierendem Porträtfilm einer stilvoll sozial dahinsiechenden Frau ist Iris keine moderne Kameliendame, sondern doch nur ein verirrtes Mädchen. Der hochgelobte Debütfilm von Carine Adler erlaubt seiner Heldin einen Ausweg nach sündigen Lehr- und Wandertagen. Als ihr ein weiterer Bettgespiele unverhofft ins Gesicht pinkelt, kehrt sie um. Gudrun Holz

„Under The Skin“. Regie: Carine Adler. Mit Samantha Morton, C. Rushbrook, Rita Tushingham