■ Pampuchs Tagebuch: Zeit zu leben, Zeit zu töten
Süß und ehrenvoll ist es, nach einem Monat Südamerika ins Vaterland heimzukehren und die E-Mail zu checken. Oioi, was sich da so alles angesammelt hat! Kein lästiges Briefaufschlitzen mehr, und man kann die eiligen Sachen sofort beantworten. Zum ersten Mal habe ich sogar Leser- Mail bekommen. Von Matthias, „taz-Abonnent der ersten Stunde der DDR-taz“, der die Adresse des „tu-dresden dictionary“ haben wollte. Für alle, die dieses Deutsch-Englisch- Deutsch-Lexikon laden wollen, hier noch mal zum mitschreiben: koora@ifn.et.tu-dresden.de. Nach einem Monat Probezeit kann man es für 20 Dollar, 30 Pfund oder 40 Mark erwerben. Es lebe der dekadische Wechselkurs! Und es lohnt sich!
Für gewisse Feinheiten der englischen Sprache freilich langt das Dictionary nicht. So hat mir der Redakteur dieser Seite, den ich angstvoll fragte, wie lange denn E-Mails beim Provider gehortet werden, erklärt, das hänge von der „titiel“ ab. „ttl???“ – „Time to live“, raunte er verschwörerisch, aber Genaueres wisse man nicht. Wegen solcher Sprachvolten liebe ich die Amis! Wie häßlich klingt doch „zzl“ – „Zeit zu leben“. Weil ich aber gerade vom Titicaca komme, habe ich mir „titikey“, also „time to kill“ gemerkt. Paßt ja schließlich auch. Als ich dann bei AOL anrief, taten sie recht unschuldig, bestätigten mir aber, daß es „so was in der Art“ gebe. Und ich merkte, was für ein Schwein ich und meine Mails gehabt haben. Die ttk bei AOL kommt nämlich nach genau 30 Tagen. Dann werden nicht abgerufenen E-Mails gekillt. Da gibt es kein Vertun, keine Gnade, keinen Rechtsweg. Jede E-Mail sitzt in der Todeszelle. Nur der rechtzeitige Abruf kann sie retten.
Die Killer von AOL gehen aber auch friedlicheren Beschäftigungen nach. Als AOL-Kunde kann man gewiß sein, daß man immer wieder Post von ihnen bekommt. Manchmal setzt sich sogar Geschäftsführer Andreas von Blottnitz selbst hin und schreibt. Vor allem, wenn es um etwas Positives geht. In seiner Begeisterung vergißt er dann schon mal, das Rechtschreibprogramm zu aktivieren. Seine letzte Botschaft konnte ich gerade noch aus der Todeszelle fischen. Und weil es so nett und einfach war, habe ich gleich eine Antwort gemailt, die ich hiermit öffentlich mache.
Liebe AOLer! Vielen Dank für Ihre Post mit dem merkwürdigen Titel „AOL-Deutschland senk die Priese!“ Ist das eine Mitteilung oder eine Aufforderung? Und sollte es nicht doch eher „Preise“ heißen? Oder gibt es bei Ihnen nach alter Seeräubertradition jetzt Prisengeld für gekaperte Mitglieder? Dazu eine kleine Bemerkung. Ich habe im Juni einen Antrag für den AOL- Journalistenaccount gestellt und an Frau Sedlatzeck sowie Frau Detmers eine Kopie meines Presseausweises geschickt. Seitdem habe ich nichts mehr von Ihnen gehört, und Sie buchen fleißig die 9,90 Mark monatlich ab. Angesichts der Tatsache, daß ich inzwischen in der Tageszeitung (taz) eine Kolummne zum Thema Computer und Internet schreibe (in der AOL ziemlich lobend erwähnt ist), hielte ich es für an der Zeit, daß sie mir langsam meinen Journalistenaccount zubilligen. Wer, wenn nicht ich, der ich tagein, tagaus mit AOL das Netz zum Nutzen unserer treuen Leser durchforste, hätte schließlich das Recht, in den Genuß ihres accounts zu kommen? Und erzählen Sie mir nicht, so was brauche seine Zeit. Oder hat AOL jetzt statt mit Netscape doch mit dem Deutschen Brieftaubenzüchterverband fusioniert? Dann will ich wenigstens den Brieftaubenrabatt. Ihr (noch) treuer etc. pp.
Fast hätte ich noch was mit ttk für Mitgliedschaften geschrieben, aber ich bin im Moment gut drauf und habe meine persönliche titikey bis Weihnachten ausgeweitet. Und dann kommt erst mal die Weihnachtsgans dran. Thomas Pampuch
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