■ Nato-Tagung: Gegen atomaren Erstschlag, für Selbstmandatierung
: Fischers Doppelstrategie

Unter Politik wird landläufig die Kunst des Möglichen verstanden. Verteidigungspolitik hat zudem die Aufgabe, das Unfaßbare nicht möglich zu machen. Deshalb ist die Reduzierung der ABC-Waffenpotentiale Bestandteil einer multilateralen Militärpolitik. Wäre die Kontroverse um den atomaren Erstschlag, die Außenminister Fischer entfacht hat, lediglich ein Nebenkriegsschauplatz, wie nun zu hören ist, ließe sie sich schnell beenden. Allein das Kostenargument müßte ausreichen, die Einsatzschwelle zu senken.

Tatsächlich jedoch, so kann man nun auch an den Reaktionen der Atommächte ablesen, hat die atomare Bewaffnung noch immer zentrale Bedeutung. Diese liegt, so argumentieren die USA, in der Bedrohung mit B- und C-Waffen. Bislang ist jedoch, jenseits der Folgewirkungen, unklar, welchen militärischen Sinn ein solcher Einsatz machen würde. Der offensichtliche Fehlschlag im Sudan sollte da eine ernsthafte Warnung sein. Neben dem vorgegebenen gibt es jedoch noch den wohl gewichtigeren Grund, daß die Atommächte aus ihrem Status ein Mehr an Macht auch in der Nato ableiten.

Nun hat auch Fischer bereits beteuert, daß es in der Frage des atomaren Erstschlages keinen deutschen Sonderweg geben werde. Das klingt so beruhigend gut, daß man sich kaum noch die Frage zu stellen traut, worin denn ein solcher Sonderweg gegebenenfalls bestanden hätte. Pläne und Wegbeschreibungen scheinen dafür nicht zu existieren. Rechnen wir die Formulierung folglich Fischers jüngst erworbener Fähigkeit des diplomatischen Sprachgebrauchs zu und verbuchen sie in der anschwellenden Akte mit der Aufschrift „Kontinuität“.

Dort werden wir allerdings vergeblich die Haltung zu Out-of-area-Einsätzen der Nato suchen. Die US- Regierung will gemeinsame Militäraktionen künftig auch durchführen, wenn vitale Interessen der Bündnisstaaten auf dem Spiel stehen. Die Debatte, was gute und was schlechte Interessen sind, ist bereits im Gange, und auch Fischer beteiligt sich daran. Aus dem Erfolg im Kosovo zieht auch er den Schluß, daß in Ausnahmefällen eine Selbstmandatierung erlaubt sein müsse. Das klingt zwar gut, ist aber ein Widerspruch in sich, hinter dem sich nichts anderes als das Recht des Stärkeren verbirgt. Legitim ist eine Intervention nur mit einem UN-Mandat. Diese Regel muß im neuen Nato-Vertrag festgelegt werden. Ausnahmen haben darin nichts zu suchen. Denn damit würde aus ihnen eine Regel. Und die stünde nicht in der Kontinuität deutscher Außenpolitik. Dieter Rulff