■ Was Schröders Äußerungen zur EU über seinen Charakter verraten
: So ist der neue Kanzler

Man könnte die Frage auch an anderen Tagen stellen, doch nun hat der neue Kanzler selbst den Anlaß gegeben: Kann man sich eigentlich erinnern, wann Gerhard Schröder zum letzten Mal nicht eine Taktik vertreten hat, sondern eine Überzeugung? Nicht nur boshafte Gemüter meinen, dafür müsse man mindestens bis zu seinen Juso-Zeiten in den 70ern zurückgehen. Mit seinem jüngsten Auftritt zum Thema EU hat der Neue im Kanzleramt diese Befürchtungen untermauert. Seine Äußerungen auf der SPD-Europakonferenz zeigen ihn als ebenden Kanzler, vor dem nachdenkliche Geister bereits im Wahlkampf warnten. Sein Stil ist von unterschwelliger Brutalität, sein Verhältnis zu politischen Werten ein instrumentelles, und seine Ausrede heißt Pragmatismus.

Mit dem Presseecho auf seinen Auftritt vom Dienstag dürfte der Medienmann zufrieden gewesen sein. Schröders Hau-drauf-Stil fand überwiegend Zustimmung. Knallharte deutsche Interessenpolitik wurde ihm bescheinigt – was heutzutage offenbar als Kompliment gilt –, weil er der EU unterstellte, Krisen mit einem Griff in die deutsche Haushaltskasse lösen zu wollen. Allenfalls taktische Bedenken brachten Kommentatoren gegen Schröders Diffamierung vor, es gehe nicht mehr, daß die Hälfte der Beiträge, „die in der EU verbraten werden“, von den Deutschen gezahlt würde. Völlig kritiklos wurde sein Trick geschluckt, ausgerechnet unter Hinweis auf den Europa-Enthusiasten Helmut Kohl die rot-grüne Bremserrolle gegenüber der EU-Osterweiterung zu verschleiern – Schröder hatte Kohl Fahrlässigkeit vorgeworfen, weil dieser den Polen eine baldige Aufnahme in die EU in Aussicht gestellt hatte.

Der Kanzler stellt die EU als Geldmelkmaschine am deutschen Euter dar. Wer so spricht, hat von Europa nichts begriffen. Es ist müßig, Schröder die altbekannten Sachargumente entgegenzuhalten. Er weiß selbst gut genug, daß der vielfach kritisierte Zahlungsüberschuß Deutschlands letztlich ein Instrument zur Förderung deutscher Exporte ist. Natürlich kann man über einen maßvollen Ausgleich reden, und im Zuge der Agenda 2000 geschieht das bereits. Doch darum geht es Schröder nicht.

Anders als für Kohl ist für ihn die europäische Einigung kein ideeller Wert. Schröder benutzt Erklärungen zu Europa als das politische Wechselgeld in seinem Schacher um Schlagzeilen in der Heimat. Im Dezember wirft er sich das Mäntelchen eines Rächers der EU-Enterbten um. Schon ab 1. Januar, wenn Bonn die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt, wird er es in das Cape des europäischen Steuermanns wenden. Pragmatisch? Prinzipienlos. Patrik Schwarz