: „Der digitale Lauschangriff kommt“
■ Der Technologie-Experte und Grünen-Politiker Manuel Kiper kritisiert, daß Bonn der US-Politik zu Verschlüsselungstechniken nachgeben will
taz: Die Bundesregierung will sich der US-amerikanischen Politik beugen, die den Export wirkungsvoller Verschlüsselungstechniken, also Kryptographie, verbieten möchte. Wie beurteilen Sie das?
Manuel Kiper: Mir scheint, einige Leute in der neuen Regierung haben geschlafen und nicht verstanden, um was es ging: Die Arbeit der Medien-Enquetekommission des Bundestages wird mit der Unterschrift unter das Wassenaar- Abkommen konterkariert. Die Kommission empfahl im Juni einmütig und parteiübergreifend: Alle Maßnahmen, die einer breiten Nutzung starker Verschlüsselungsverfahren entgegenstünden, müßten vermieden beziehungsweise abgebaut werden.
Welche Interessen verfolgen die USA mit ihrer Politik?
Unmittelbar nach dem Regierungswechsel versuchte der amerikanische Sonderbotschafter, Innenminister Schily auf US-Kurs zu bringen. Nach dem Großen Lauschangriff kommt nun der digitale. Die USA wissen, daß demjenigen die Zukunft und die Macht gehören, der Informationen abhören kann. Sie kamen in den letzten Jahren ins Hintertreffen und wollen die Führung in der Krypto-Politik wieder an sich reißen – nicht nur überwachungspolitisch, sondern auch wirtschaftlich.
Der Entwurf einer Überwachungsverordnung für die Telekommunikation, die der ehemalige Innenminister Kanther im Hauruck-Verfahren durchsetzen wollte, hat damals bei der Industrie blankes Entsetzen ausgelöst.
Die deutsche Industrie hat zu oft versucht, sich durch Wohlverhalten zu profilieren. Erst als das Kind in den Brunnen gefallen war und es noch schlimmer war, als alle befürchteten, haben sie rebelliert. Man kann nur hoffen, daß die Wirtschaft jetzt nicht stillhält, sondern aufwacht. Wer starke Kryptographie verbietet, muß erhebliche Sicherheits- und Kostenrisiken in Kauf nehmen. Das Prinzip des key recovery ist mit den nationalen Sicherheitsinteressen unvereinbar.
Haben die Parlamentarier von Bündnis 90/Die Grünen geschlafen?
Einige scheinen zu glauben, daß Technikpolitik nur etwas für Liebhaber ist. Technologie ist kein Feld, sich politisch zu profilieren. Deswegen beschäftigen sich leider nur wenige damit. Interview: Burkhard Schröder
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