piwik no script img

Wilde im Pfarrhaus

■ Ein Bischof in Angst / Synoden-Chefin Lingner findet die „wilde Ehe“ einer Pröbstin zeitgemäß Von Silke Mertins

Meistens kommt der Untergang des christlichen Abendlandes weiblich daher. Und fast immer aus der Großstadt. Nicht genug, daß das Fußvolk der evangelischen Kirche mitbestimmen darf. Inzwischen schlägt es selbst Ratschläge des kirchlichen Landesvaters, namentlich des Schleswiger Bischofs Hans Christian Knuth, in den Wind. Der hatte nämlich die beiden männlichen Kandidaten für das Probstamt favorisiert. Aber nein, die Kreissynode – eine Art Kirchenparlament – wollte partout die Hamburger Theologin Jutta Gross-Ricker, die nicht nur nicht verheiratet ist, sondern ihre wilde Ehe auch noch offen zugibt.

Der Skandal: Sie wurde trotzdem zur Pröbstin gewählt und will, wenn sie in einem halben Jahr Chefin von 13 Geistlichen und 600 Kirchenbeschäftigten wird, mitsamt Beziehungskiste nach Flensburg umziehen. In seinem Zorn und zur Rettung der christlichen Moral will der Bischof nun die disziplinarischen Daumenschrauben anziehen: Entweder die neue Pröbstin legt in christlicher Demut das Ehegelübde ab, oder Juttas Liebhaber muß leider draußen bleiben.

Als Begründung muß mal wieder der liebe Gott herhalten. „Die Ehe ist nach biblischem Verständnis die von Gott eingesetzte umfassende Lebensgemeinschaft von Mann und Frau“, heißt es in einem Kommentar zum Kirchengesetz. Der Pfarrer ist „auch in seiner Lebensführung in Ehe und Familie seinem Auftrag verpflichtet“. Der Pfarrer, möchte man einwenden. Aber die Pfarrerin? Doch, es ist zu befürchten, daß das Gezerre um den Lebenswandel der neuen Pröbstin nur Ausdruck eines größeren Grabenkampfes ist, der derzeit die Nordelbische Kirche erregt. Nämlich: Sind alternative Lebensformen den ordentlichen ehelichen gleichberechtigt? Dürfen lesbische Paare in der ersten Kirchenreihe sitzen? Könnte man dulden, daß ein schwuler Bischof öffentlich Händchen hält?

Die Hamburger Synoden-Präsidentin Elisabeth Lingner weiß diese Fragen klar zu beantworten: Können kann man schon. Wenn nur die Angst nicht wäre. Bei Bischof Knuth zum Beispiel. Fast sieht man sie im Geiste beruhigend dem Bischof übers Haupthaar streicheln, wenn sie sagt: „Das ist halt sehr brisant, weil die Nordelbische Kirche für ihren eigenen Bereich eine sehr wichtige Entscheidung treffen soll.“ Die Bezeichnung „wilde Ehe“, rügt sie die verstockten Kirchenfundis sanft, sei „nicht mehr ganz zeitgemäß“. „Eine Partnerschaft ohne Trauschein“ sei wohl die aktuellere Bezeichnung, gibt sie Nachhilfe.

Klar ist für Frau Lingner, daß das Kirchenvolk offener ist, als die höheren Etagen. Daß die Hamburger Theologin Gross-Ricker gewählt wurde, obwohl sie ihre „wilde Ehe“ nicht verschwieg, sei ein „Anzeichen für große Akzeptanz“. Und das könnte durchaus auch Vorbildcharakter für andere haben: „Die Kirche muß sich weiter öffnen.“

Doch Bischof Knuth schwebt, um sein frömmelndes Gesicht zu wahren, ein ganz anderer Kompromiß vor: Die neue Pröbstin sollte sich doch wenigstens verloben. Oder, so schön kann Lügen sein, der Freund könnte doch mit erstem Wohnsitz in Hamburg gemeldet bleiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen