Martyrium zwischen Schnitzel und Pommes

■ Wolfgang Bortlik erzählt in „Wurst & Spiele“ von Lügen, die nicht nur als Tresen-Tratsch taugen, sondern auch für einen kurzweiligen Roman über Fußball, Alkohol und Pop

Gut, daß es solche Szenarien nur in Romanen gibt. Als wenn ein Handlungsort wie die Schweizer Kleinstadt Launeburg nicht schon genug nach dreidimensionaler Provinz röche, zoomt sich Wolfgang Bortlik in seinem Debüt Wurst & Spiele noch viel tiefer in diesen recht miefigen Mikrokosmos hinein. Dort gelten, wie jeder weiß, eigene Gesetze, welche in seinem Fall auf die Namen Fußball, Alkohol und Wirtshäuser hören.

Und genau dort arbeitet Bortliks Held Horak. Drei Tage lang soll er seine Freundin Ev als Bedienung vertreten. Daß die derweil in weiter Ferne einer Affäre nachgeht, weiß zunächst nur die Leserschaft. Ein Martyrium zwischen Schnitzelpommes-salatundsuppe, eiskaltem Bier und sinnbefreitem Gedröhne breitet sich langsam, aber unaufhaltsam aus. Horaks Chef heißt Theo Kummer, sieht aus wie der Frauenmörder Ed Gein und trägt schwer an der Last, daß ihm ein vorgelagerter Imbißwagen die Kundschaft klaut. Kummers Plan: Horak soll in seinem Auftrag eine Gegen-Bude aufmachen. Doch der weiß nicht so genau, wozu das gut sein soll, und denkt statt dessen lieber ein wenig über Fußball, Frauen und Rockmusik nach.

Und da ist sie wieder, die populäre Dreifaltigkeit des Pop-Buches für Männer, die es gern übersichtlich haben. Das Ganze kennen wir seit Nick Hornbys Fußballfieber zwar schon zur Genüge, doch Bortlik ist härter. Mit ihm kommt das wirklich schwarze Loch des selbstauferlegten Amöbendaseins. Während Hornbys Fantum die immer gleiche Frage des „Was soll ich denn bloß machen?“ in den Himmel hob, regiert bei dem Schweizer Autoren das pure Phlegma.

Die Nichtexistenz einer wie auch immer gearteten Entwicklung nutzt der Buchhändler, Kritiker und Musiker Bortlik zur rhetorischen Offensive gegen alles, was außerhalb von Horaks Themen-Trias liegt. Rock-Zitate pflastern seinen Weg, im Schweinsgalopp werden die letzten vier Musikjahrzehnte in mehr oder minder tiefe politische Ebenen gedonnert. Dort fühlen sich Bortlik und somit auch Horak wohl. Dessen Jugend- und Studentenzeit bietet Stoff für 1000 Anekdoten aus einer Zeit, als 68 schon vorbei war, dafür Punk, Straßenkampf und Drogenclash für ein klein bißchen Revoluzzertum sorgten. Und so wirken die 48 Kapitel von Wurst & Spiele wie viele, viele bunte Prolo-Smarties, jeder Abschnitt ein rundes, knallbuntes Bonbon.

Dabei fungiert Horak als Trash-Chronist, der zwar immer mittendrin war, aber niemals dazugehörte. Was rückblickend kein Manko darstellt, denn die so lustvoll niedergeschriebenen Punkrock-, WG- und post-maoistischen Menstruationszirkel gehören nun wirklich zum letzten, dessen man sich zugehörig fühlen möchte.

Überall gibt es Feindbilder, auf die Bortlik mit äußerster Lässigkeit eindrischt. Ob nun auf die alten Arbeiterkämpfer, die durch die Bank zu Alkoholikern degeneriert sind, oder auf die einst so umgarnten Proletarierklassen, die sich noch immer nicht befreien lassen wollen. Sie alle bieten menschliche und soziale Unorte, von denen heute viele andere angeben, sie früher am eigenen Leibe erfahren zu haben. Schöne, kleine Lügen sind das, von denen man nichts genaues weiß, aber als Tresen-Tratsch oder eben Roman funktionieren sie prima.

Oliver Rohlf

Wolfgang Bortlik: „Wurst & Spiele“, Edition Nautilus, Hamburg 1998, 36 Mark

Lesung mit Musik : Montag, 21 Uhr, Schauspielhaus-Kantine