■ Bewegungsmelder
: Busfahrer sind auch nur Menschen

Es war einmal ein Berliner Busfahrer namens Bodo Gondeck. 23 Jahre lang saß der 57jährige für die Berliner Verkehrsbetriebe am Lenkrad. Viel hat er mit- und durchgemacht in dieser Zeit: Baustellen noch und nöcher, Männer und Frauen, die sich über Fahrpreiserhöhungen beschweren oder schwarzfahren. Ganz zu schweigen von Glatteis im Winter und sengender Hitze im Sommer. Immer sollte Gondeck freundlich sein. Nie hat ihn jemand gefragt, wie er mit all dem fertig wird. Halt fand er in all den schweren Jahren nur an seinem Lenkrad.

Gondeck wurde das Busfahrerdasein wirklich nicht leicht gemacht. Selbst erlaubte Dinge wurden ihm verweigert. So mußte er nach der Beschwerde eines Fahrgastes einen Aufkleber der rechtsradikalen, aber frei verkäuflichen, Nationalzeitung von seinem Aktenkoffer entfernen. Gondeck, immer bereit, Kundenwünsche zu erfüllen, beseitigte das Ding. Auch seine Bestrebungen, den Fahrplan überpünktlich zu erfüllen, wurden nicht honoriert. Als er einmal eine Haltestelle vier Minuten zu früh anfuhr und einer Frau, die in ihrer Not bei Rot über die Ampel lief, androhte, sie künftig nicht mehr mitzunehmen, wurde er zurechtgewiesen.

Eine schriftliche Ermahnung mußte er einstecken, als er eine Kundin an der Haltestelle stehenließ. Gondeck die Schuld dafür zu geben, daß sich die Frau nicht klar und deutlich als „Mitfahrwillige“ zu erkennen gab, ist nicht fair. Statt mit Verständnis reagierten die Verkehrsbetriebe mit einer Sonderüberwachung und schleusten Fahrmeister in Zivil in Gondecks Bus. Ergebnis: zügige bis sehr aggressive bzw. unökonomische Fahrweise, keine Ansage der Haltestellen und zu frühes Anfahren derselben. Gondeck wurde nachdrücklich auf seine Verfehlungen hingewiesen. Für den Fall einer weiteren „Verfrühung“ wurde ihm die Kündigung angedroht.

Nun stelle man sich vor, unter solch einem Druck einen Bus zu fahren. Da kann es schon mal passieren, von einem Ehepaar nur die Frau, nicht aber den Mann mitzunehmen und heftiges Rufen und Winken zu überhören- und sehen. Busfahrer sind auch nur Menschen. Angespannt, wie Gondeck war, trat er dann an einem heißen Tag im Sommer dieses Jahres etwas kräftiger aufs Gaspedal und erreichte eine Haltestelle glatt drei Minuten zu früh. So wie man manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht, hat er eine dort wartende Frau übersehen. Kann doch mal passieren, wenige Monate vor dem verdienten Vorruhestand.

Doch besagte Frau, die zufällig bei der taz als Redaktionsassistentin arbeitet, zeigte kein Verständnis und schrieb einen Beschwerdebrief an die Verkehrsbetriebe mit der Ankündigung, diesen zu veröffentlichen. Nachdem sich die Verkehrsbetriebe bei ihr entschuldigt hatten, meldete sich Gondeck in einem Leserbrief zu Wort, der in der taz veröffentlicht wurde. Da brach der ganze angesammelte Frust aus ihm heraus. Kann man doch verstehen, den Mann. Die taz und ihre Macher als „Schmierenblatt“ und „Schmierfinken“ zu bezeichnen, geht als freie Meinungsäußerung durch. Die Titulierung der Frau als „alternative Dreckschleuder“ mit einem „erbsengroßen Hirn“ zeigt in erschreckender Weise, welch harten Job Gondeck hat, daß er sich zu derlei Unflätigkeiten hinreißen läßt. Doch die Verkehrsbetriebe schoben den Fahrer per fristloser Kündigung aufs Abstellgleis. Gondeck zog kürzlich vors Arbeitsgericht und unterlag. Und jetzt, wo die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt, will er vor das Landesarbeitsgericht gehen.

Sollte man auch dort kein Verständnis zeigen, kann Gondeck zumindest bis zum Rentenalter wieder das befördern, was er vor seinem Job als Busfahrer befördert hat: Bier. Barbara Bollwahn de Paez Casanova