Entzauberung des Ostens

■ Die Machtfrage in Ostdeutschland ist keine bloße Rechenaufgabe. Trotzdem können sich die Sozialdemokraten der PDS nicht verweigern

Haben die ostdeutschen Sozialdemokraten geschlafen? Wachen sie gerade noch rechtzeitig auf, um ihre Partei aus den Fängen der Kommunisten zu befreien?

Wenn man sich die gegenwärtige Diskussion in der Ost-SPD ansieht, dann müßte man die Fragen fast bejahen. Eine kleine Gruppe von Politikern scheint die Ehre der ruhmreichen Sozialdemokratie zu retten. Ihr Hauptvorwurf an die eigene Partei: Die SPD diskutiere zu wenig über die Risiken der Zusammenarbeit mit der PDS. Koalitionen mit dieser Partei, so befürchten die Gegner des Bündnisses, nutzen nur der PDS selbst.

Nun wird es der SPD gewiß nicht schaden, über ihr Verhältnis zu den Postkommunisten immer und immer wieder zu reden. Aber man kann nicht gerade behaupten, daß in der Partei darüber zuwenig diskutiert wird. Im Gegenteil, fast ist man geneigt zu sagen, die ostdeutschen Sozialdemokraten haben darüber in den letzten Jahren zuviel diskutiert, nämlich unentwegt, genauer gesagt seit ihrer Gründung im Herbst 1989.

Nur genutzt hat es nicht viel. Die SPD hat viel geredet, aber die falschen Entscheidungen getroffen. Das selbstverschuldete Dilemma begann schon im Januar 1990. Damals ließen die Sozialdemokraten den stellvertretenden PDS-Chef Wolfgang Berghofer abblitzen, als dieser überlaufen wollte und versprochen hatte, gleich noch ein paar Kombinatsdirektoren mitzubringen. Vielen SED-Reformern blieb daraufhin nur die Wahl zwischen dem Rückzug ins Private und dem Eintritt in die PDS. Hätte die SPD Berghofer damals aufgenommen und ein Zeichen der Öffnung gesetzt, sie hätte heute ein Problem weniger.

Die ostdeutschen Sozialdemokraten, besonders die aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung, verwiesen damals, völlig verständlich, auf ihre schmerzlichen Erfahrungen mit den Kommunisten – und waren nicht zu mehr in der Lage, als die SED-Nachfolger zu ignorieren und auszugrenzen. So hat die SPD ihre Rivalin selbst erst groß gemacht. Heute bleibt ihr angesichts der Stärke der PDS nichts anderes übrig als der Versuch, die PDS in einem gemeinsamen Bündnis zu entzaubern.

Man mag das bedauern, aber wenn sich die SPD dem prinzipiell verweigert, dann kastriert sie sich selbst. Als Alternative bliebe ihr nur eine Große Koalition und die Gewißheit, zwischen PDS und CDU zerrieben zu werden. Mehr Spielraum läßt das Dreiparteiensystem in Ostdeutschland nicht zu. Diese Realität anzuerkennen bedeutet nicht, die Machtfrage im Osten als bloße Rechenaufgabe zu begreifen. Dahinter steht letztlich die Antwort auf die Frage, wie die PDS klein zu halten ist.

Natürlich birgt ein Bündnis mit der PDS Risiken. Aber der SPD bleibt nichts anderes übrig, als diese Risiken einzugehen. Daß Sozialdemokraten wie Stephan Hilsberg, Richard Schröder und Markus Meckel mit diesem Pragmatismus der Macht nicht leben können, ist zu verstehen. Sie haben in der DDR nicht Widerstand geleistet, um zehn Jahre später mit der SED- Nachfolgepartei in trauter Runde in der Regierung zu sitzen. Aber ihre Position ist nicht nur deshalb so schwach, weil sie in der SPD in der Minderheit sind. Sie bieten auch keine wirkliche Alternative zu Höppners und Ringstorffs Integrationskurs.

Sie argumentieren zwar nicht mehr moralisch, wie noch vor Jahren, sondern strategisch. Aber sie liefern dabei kein überzeugendes Argument für ihre zentrale These, daß die Strategie der Entzauberung am Ende nur die Entzauberer selbst entzaubern wird. Das Hauptrisiko eines Bündnisses bestünde darin, daß sich die PDS links neben der SPD als sozialistische Partei etablieren wird, sagen sie. Das mag sein. Aber durch die Ablehnung einer Zusammenarbeit etabliert sich die PDS erst recht. Das ist der wesentliche Unterschied zu Rot-Grün im Westen. Bei diesem Modell hat die SPD fast immer Stimmen an ihren kleinen Koalitionspartner verloren. Aber es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, daß das bei Rot-Rot im Osten auch so sein wird.

Die Kritiker des PDS-Kurses verlieren sich, wenn es um ihre Strategie geht, in wolkigen Formulierungen: Die SPD muß sich auf die achtzig Prozent der Ostdeutschen konzentrieren, die die PDS nicht wählen, und sie muß der Gestaltung der inneren Einheit hohe Priorität einräumen, auch um PDS-Wähler zu gewinnen. Mal ganz davon abgesehen, daß sich das Ganze nicht danach anhört, als könnte man damit Punkte machen – dafür ist es auch zu spät.

Als Vertreterin ostdeutscher Interessen wird nur eine Partei wahrgenommen: die PDS. Sie muß heute nicht mal mehr viel dazu beitragen. Die anhaltende Ost-Ignoranz der etablierten (West-)Parteien reicht ihr völlig aus. Mehr noch: Die PDS kann sich sogar gleichzeitig als Regierung und als Systemopposition verkaufen, sie kann Luftschlösser bauen wie in Mecklenburg-Vorpommern, sie kann jede Menge dummes Zeug erzählen, wie gerade ihre Bundestagsabgeordnete Evelyn Kenzler, die eine Amnestie für DDR-Funktionäre samt Haftentschädigung forderte – das haut die PDS nicht um. Was (angeblich) ostdeutsch ist, das bestimmt sie. Andere Meinungen werden als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Ostens verstanden.

Für die Sozialdemokraten kann es heute nicht mehr darum gehen, ob sie mit der PDS zusammenarbeiten, sondern nur noch wie. Das schließt ein, die Große Koalition mit der CDU nicht als neues Feindbild zu pflegen. Die Frage, mit wem sie zusammen regiert, sollte die SPD praktisch und konkret beantworten, nicht ideologisch und prinzipiell.

Dazu gehört, der Partei Gregor Gysis nicht immerfort neue Bekenntnisse ihrer historischen Schuld und Verfassungstreue abzuverlangen. Die hat die PDS zur Genüge abgelegt. Von großem Wert sind solche Entschuldigungen nämlich nicht. Bei vielen in der PDS klingen sie so, als bestünde das Vergehen der Genossen darin, früher bei Rot über die Straße gegangen zu sein. Damit ist der SPD nicht geholfen. Ihr muß es darauf ankommen, daß sich die PDS von ihren Phantasien einer staatlichen Rundumversorgung verabschiedet. Gelingt der SPD das in einer Koalition mit der PDS, dann würde sie auf diesem Wege mehr sozialdemokratische Politik durchsetzen können als in einem Bündnis mit der CDU.

Daß die Sozialdemokraten in Mecklenburg-Vorpommern den Genossen von der PDS so weit entgegengekommen sind, daß man kaum noch erkennt, wer wer ist, spricht vielleicht gegen die Koalition in Schwerin – aber nicht gegen das ganze Modell. Jens König

Natürlich birgt ein Bündnis mit der PDS Risiken. Aber der SPD bleibt nichts ander

Zusammenarbeit etabliert sich die PDS erst recht. Da