„Überrascht von dieser Brutalität“

Die Villa Grimaldi war eines der berüchtigtsten Folterzentren der chilenischen Diktatur. Überlebende von dort unterstützen die Prozesse gegen den Ex-Diktator Pinochet in Spanien mit Material und Aussagen  ■ Aus Santiago Ariel Hauptmeier

Nur die rote, stacheldrahtgespickte Außenmauer blieb übrig, als die Geheimpolizei CNI die Villa Grimaldi, Pinochets schlimmste Folterwerkstatt, 1987 an eine Baufirma verkaufte. Auf dem Gelände sollten Wohnungen gebaut werden. Menschenrechtsgruppen und ehemalige Gefangene kämpften erfolgreich für den Bau einer Gedenkstätte, den „Park für den Frieden“. Sie richteten ein Archiv ein, in dem sie die Aussagen der Gefolterten sammelten, verglichen, systematisierten. Die Essenz dieses Archivs, 117 Seiten mit den Namen von über 5.000 Gefangenen, 225 Verschwundenen, Offizieren, Ärzten und Geheimpolizisten, leiteten sie im Sommer dem spanischen Ermittlungsrichter Baltasar Garzón zu. Alle Kommandanten der Villa Grimaldi stehen nun auf der Liste der 38 von Garzón gesuchten chilenischen Verbrecher gegen die Menschlichkeit.

„Hier waren die Zellen, in die wir nach der Folter geworfen wurden“, sagt Jaime Malagueño und zeigt auf ein Raster von Grasfeldern, ein mal ein Meter groß, umrahmt von Backsteinen. In jedem Feld wächst eine Birke. „Hier standen die Metallbetten, auf denen mit Strom gefoltert wurde“ – Malagueño zeigt auf ein etwas größeres Grasfeld einige Meter weiter – „ständig hörten wir die Schreie der Compañeros. Dort, vor der Tür, stand der Trog mit verfaultem Wasser, in den wir getaucht wurden, bis wir fast erstickten.“

Malagueño ist 51 Jahre alt, seine Wangen hängen müde unter einer dicken Brille. Seit seiner Rückkehr aus dem Exil in den USA arbeitet er als Elektriker. Nach dem Militärputsch war der junge Vorsitzende der Pädagogen-Gewerkschaft untergetaucht, am 5. Mai 1975 war es soweit: Jaime Malagueño schloß die Tür zu seinem Versteck auf, dort standen die Agenten der Geheimpolizei. Die Männer stürzten sich auf ihn, verbanden ihm die Augen, brachten ihn zur Villa Grimaldi und begannen sofort mit der Folter. Malagueño wurde auf die „parilla“, das Metallbett, gespannt, der Strom eingeschaltet. „Ich war überrascht von dieser Brutalität“, sagt Malagueño, „einen solchen Schmerz hatte ich mir nicht vorstellen können. Es war, als ob sie mir eine Nadel in die Haut bis auf den Knochen drehten und sie dann langsam bewegten.“ Wer sind seine Freunde, wo ist der nächste Treffpunkt, fragten die Männer um ihn herum. Wollte er etwas sagen, mußte Malagueño den Finger heben, war es nicht das, was die Polizisten hören wollten, erhöhten sie die Dosis. Sie steckten ihm die Elektroden in Mund und After und hielten sie an seine Hoden. Malagueño hebt hilflos die Schultern. „Nicht, daß es dort mehr weh tut, aber es sind die intimsten Stellen des Körpers. Das zerstört dich.“

In den Springbrunnen des Parks spielen Kinder, neben einem Gedenkstein singt ein junger Mann pathetische Protestlieder, um ihn herum stehen einige Dutzend Besucher einer Gedenkveranstaltung. Malagueño geht voraus zu einem Wasserbasin am Rand des Parks. Einige junge Punks sitzen auf dem Boden und betteln um eine Münze. „Bitte, mein Vater ist gefoltert worden“, sagt einer von ihnen und lacht. Malagueño reagiert nicht. Neben dem Wasserbassin dreht er sich um. „Sie haben uns gesagt, daß sie Krokodile darin haben. Der Terror in der Villa Grimaldi war so groß, daß wir ihnen geglaubt haben.“

Zwei Wochen lang war Malagueño in der Villa Grimaldi. Die ganze Zeit über waren seine Augen verbunden. Dann brachte man ihn in ein anderes Gefangenenlager, ein halbes Jahr später wurde er in die USA ausgewiesen. Warum er überlebt hat, weiß er bis heute nicht.

Die Folter hinterließ bei ihm eine unbändige Lust zu leben. Gleichzeitig war ihm nun vieles so merkwürdig egal. „Schlimmer als meine Alpträume ist die Aggressivität, die die Folter hinterlassen hat“, sagt Malagueño. Und er läßt seinen Frust, seine Wut ausgerechnet an jenen aus, die ihm am meisten bedeuten. „Ich ertrage keine Grenzen. Fragt mich meine Frau, warum ich schon wieder zu einer Versammlung gehe, dann explodiere ich. Das bringt mich um.“

Malagueño, genau wie die übrigen Mitglieder der „Cooperación del Parque por la Paz“, fordert seit Jahren, daß die Verbrechen der Militärdiktatur aufgeklärt, angeklagt und bestraft werden. Bislang war das eine radikale Position in Chile, von vielen als „kommunistisch“ abgetan. Das ist jetzt anders. „Egal was mit Pinochet passiert, das Thema Menschenrechte steht in Chile wieder auf der politischen Tagesordnung“, sagt der Anwalt Roberto Medrino Jorquera, einer der beharrlichsten Streiter für die Aufklärung der in der Villa Grimaldi begangenen Verbrechen. Er selbst war dort einen Monat lang gefangen und rekonstruiert seit Jahren minutiös die Geschehnisse: Wer wurde wann verhaftet und gefoltert? Von wem? Wo verliert sich die Spur eines verschwundenen Gefangenen? Wer sind „Los Papis“, die bis heute unbekannten Geheimpolizisten, die einen großen Teil der Folter erledigten?

Die meisten Täter der Villa Grimaldi sind seit langem bekannt, die meisten wurden von ihren Opfern angeklagt, alle wurden vom Obersten Gerichtshof, unter Anwendung des Amnestiegesetzes, begnadigt. Der Anwalt Medrino hofft, daß sich bald auch die Rolle Pinochets in der Villa Grimaldi klären wird.

„Viele meiner Freunde sind hier gestorben“, sagt Jaime Malagueño und schaut zu der beleuchteten Marmorwand, in die die Namen der 225 in der Villa Grimaldi verschwundenen Gefangenen graviert sind. „Ich lebe, weil sie der Folter standgehalten haben.“