Clinton vor einer schwierigen Reise

Der Besuch des US-Präsidenten in Israel und Palästina wird begleitet vom Streit über das Wye-Abkommen. Die PLO annulliert erneut ihre Charta  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Unter einem guten Stern steht der am Sonntag in Israel beginnende Besuch von US-Präsident Bill Clinton nicht. Tagelange Unruhen in den besetzten palästinensischen Gebieten, der Hungerstreik von Gefangenen und ihren Angehörigen sowie die von Gewaltmaßnahmen begleitete Beisetzung zweier junger Palästinenser, darunter ein Neffe von Verhandlungsführer Saeb Ereikat, haben die Atmosphäre vergiftet.

„Ich habe angeordnet, daß die Armee in schärfster Form gegen die Unruhestifter vorgeht“, erklärte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. In Vorschau auf den Clinton-Besuch fügte er hinzu: „Wenn Sie erwarten, daß wir noch mehr Land an die Palästinenser übergeben, so kann ich Ihnen versichern, daß dies nicht geschehen wird.“ Zuerst, so Netanjahu, müßten die Palästinenser ihren Verpflichtungen aus dem Wye- Abkommen nachkommen und alle Gewalttätigkeiten unterbinden.

Diese hatten sich nicht nur wegen des 11. Jahrestages der Intifada entzündet, sondern vor allem wegen der Kontroverse über die Freilassung von kriminellen, nicht aber politischen palästinensischen Gefangenen. Nach Vermittlung von US-Unterhändler Dennis Ross soll jetzt ein Komitee gebildet werden, dem Israelis, Palästinenser und US-Amerikaner angehören werden, um diese Frage zu lösen. Der palästinensische Minister ohne Geschäftsbereich, Ziad Abu Ziad, erklärte gegenüber der taz, daß die Freilassung von kriminellen Gefangenen nichts anderes sei als ein bewußtes Täuschungsmanöver Netanjahus. „Er kann es nicht lassen, alle und jeden zu betrügen“, sagte Ziad Abu Ziad.

Dieser hatte erklärt, keine Gefangenen freizulassen, an deren Händen Blut klebe. Doch dieses Kriterium trifft nach Aussagen einer palästinensischen Menschenrechtsorganisation auf rund zwei Drittel der politischen Gefangenen nicht zu. Der Konflikt um die Freilassung der dreieinhalbtausend Gefangenen erregt die Palästinenser aufs heftigste. Seit Wochenbeginn befinden sich zweieinhalbtausend Gefangene und zahlreiche Angehörige im Hungerstreik. Genau aus diesem Grunde kann auch die palästinensische Autonomiebehörde den „Protest der Straße“ nicht einfach ignorieren.

Doch diese versucht angesichts des Clinton-Besuchs, ihren Versprechungen nachzukommen. Der Zentralrat der PLO, ein rund hundertköpfiges Interimsgremium zwischen den Sitzungen des Nationalrats, bekräftigte am Donnerstag abend die Annullierung der palästinensischen Charta. Es gab nur acht Enthaltungen und acht Gegenstimmen. Bis jetzt ist ungewiß, ob die „palästinensische Versammlung“ anläßlich des Clinton- Besuchs eine Abstimmung vornehmen oder lediglich einen Brief Arafats an Clinton bestätigen wird, in dem dieser die Annullierung der PLO-Charta bekräftigt.

Der palästinensische Nationalrat hatte im April 1996 mit Zweidrittelmehrheit alle Klauseln der Charta für ungültig erklärt, die Israels Existenz in Frage stellen. In der israelischen Forderung nach einer neuerlichen Abstimmung sehen viele Beobachter denn auch einen Propagandatrick. Eine Bestimmung über eine notwendige neue Abstimmung des Nationalrats enthält das veröffentlichte Wye-Abkommen jedenfalls nicht.

Obwohl allein drei Anzeigen in der Zeitung Jerusalem Post Clinton als unwillkommenen Gast titulierten, kann es sich die israelische Regierung nicht leisten, das Wye- Abkommen aus rein innenpolitischen Gründen zu torpedieren. Die vermeintlichen Verstöße der Palästinenser gegen das Abkommen erscheinen selbst der US-Regierung als vernachlässigbar. Der Druck des Clinton-Besuches dürfte deshalb in vollem Umfang die Regierung Netanjahu treffen. Und damit auch die Vielzahl von Querschüssen erklären, die in der vergangenen Woche von seiten der Regierungskoalition gegen Clinton abgefeuert wurden – bis hin zum Boykott des Besuchs durch Parlamentssprecher Dan Tichon.