„Da war geistig nicht vernünftig“

Nach dem 0:4-Desaster gegen Hertha kämpft der HSV um den Klassenerhalt  ■ Von Bernd Müller

Beim Hamburger SV brennt schon kurz vor Weihnachten wieder einmal der Baum. „Hertha hat alles richtig gemacht, wir alles verkehrt. Es hat überhaupt nichts funktioniert.“ Trainer Frank Pagelsdorf fand trotz Schockzustand die treffende Beschreibung für das 0:4-Desaster des Hamburger SV. Das Spiel am Freitag abend im Volksparkstadion war eine sportliche Bankrotterklärung, und nicht die erste, die die Hanseaten in den vergangenen Wochen ablieferten.

In Hamburg präsentierte nur ein Team Fußball – das war das Berliner. „Wir haben fast fehlerlos gespielt“, urteilte Herthas Trainer Jürgen Röber nach den Toren von Neueinkauf Piotr Reiss, Wosz, Tretschok und Preetz. „Es kann nicht angehen, daß wir uns regelmäßig von unseren Gästen so vorführen lassen“, klagt Sportchef Holger Hieronymus.

Zur Ursachenforschung wurde Pagelsdorf vom Vorstand für kommenden Mittwoch zum Rapport bestellt. Verlangt wird dabei endlich auch die Darstellung eines schon mehrfach vermißten schlüssigen Konzepts. Bei einer weiteren Schlappe am Samstag gegen Nürnberg hört die Freundschaft wohl endgültig auf. Denn Pagelsdorfs Arbeit, die in den vergangenen neun Spielen der Vorrunde nur zu einem Sieg gegen Schlußlicht Gladbach führte, wurde ein Armutszeugnis ausgestellt. Planlos, hilflos, kopflos – keine Mannschaft. Die Profis operieren ähnlich leidenschaftslos, wie sich ihr Trainer gibt. Immerhin wurde Selbstkritik geübt. Tief deprimiert sagte Abwehrspieler Andrej Panadic: „Die schlimmste Niederlage meiner Karriere. Wir Spieler sind schuld, nicht der Trainer. Wir haben alle versagt.“ Zur „Belohnung“ gab der Coach für Sonntag frei.

Die bis dato letzte 0:4-Pleite auf eigenem Platz kassierte der HSV am 17. Mai 1997. Sie kostete Felix Magath den Kopf. Geändert hat sich außer vielen neuen Namen seitdem nichts. Für Pagelsdorf läuft die Schonzeit allmählich ab, auch wenn Geschäftsführer Werner Hackmann öffentlich beteuerte: „Es gibt keine Trainerdiskussion. Es gibt auch keine Mannschaft, die gegen den Trainer spielt.“ Angesichts eines bis 2001 geschlossenen, mit rund 1,5 Millionen Mark jährlich dotierten Vertrages kann sie sich der HSV auch gar nicht leisten. Aber der Zwang zur Wiedergutmachung nach dieser Geschäftsschädigung ist da.

„Man muß mit allen Gespräche führen, um eine Erklärung für diese desolate Leistung zu finden, und Lehren daraus ziehen. Der Druck für alle ist jetzt sehr groß“, meinte Hackmann. Angesichts der demnächst 171 Millionen Mark Schulden durch den Stadionneubau drohen die Felle davonzuschwimmen. Da ist Pagelsdorfs Zielkorrektur zur Saison-Halbzeit schon sehr peinlich: „Wir müssen uns wieder ganz klar auf den Klassenerhalt konzentrieren.“ Dem Vorstand genügt das nicht. Hackmann: „In der Mannschaft ist mehr Substanz, sowohl spielerisch wie auch kämpferisch. Beides hat gefehlt.“

Auch taktisch erteilte Berlin eine Lektion. So nahm Hertzsch die geplante Sonderbewachung für den stark auftrumpfenden Wosz gar nicht erst wahr. Pagelsdorfs machte eine Kettenreaktion der Fehler aus, wollte seinen Profis das Bemühen aber nicht absprechen: „Wir waren geistig nicht in der Lage, vernünftig Fußball zu spielen.“