Furchtbare Gefahren lauern am Weg

■ Mit Hobbits, Pech und Pannen: „Herr der Ringe“, die Berliner Low-Tech-Veranstaltung

In der Stunde der Wahrheit wehrte sich die Idee des Zelttheaters gegen seine technische Reproduzierbarkeit. Kurz vor Vorstellungsbeginn fiel der Strom aus. Das Publikum schob sich bei Notbeleuchtung auf die Tribüne, blieb in die Mäntel gemummelt und wartete auf den Beginn der „Weltpremiere“ von „Tolkiens Welterfolg“ mit „weltsensationellen Licht- und Geruchseffekten“.

Ein passender Beginn des 26 Millionen Mark teuren „Herr der Ringe“-Musicals im „Fantasyzelt“ in Berlin-Mitte. Bis Oktober war wegen Lärmschutzbedenken unklar gewesen, ob die Produktionsfirma Fantasy Musical Production das fast 2.500 Quadratmeter große Zelt an der Oranienburger Straße neben dem Tacheles überhaupt aufstellen darf. Als dann zumindest die Premiere am 26. November ausverkauft gewesen war, stürzte am Vortag das Software- Programm für Sound, Licht, Bühnen- und Pyrotechnik ab und ein Hauptdarsteller hatte einen Verkehrsunfall. So daß, wer am eisigen 11. Dezember durch das Spalier der grau-blau bemalten Fackelträger das fast dunkle Zelt betrat und sich an wandelnden Bäumen vorbei ins auf Notstrombasis zwitschernde, plätschernde Innere vortastete, in seinem Herzen Sympathiepunkte vergab. Das wäre bei uns zu Hause auch passiert.

Der Beginn der Vorstellung half der Sache nicht auf die Beine. Die Musik des 38jährigen Wiener Komponisten Bernd Stromberger klingt im Ohr des Laien fürchterlich. Immer wieder Carmina-Burana-haft anschwellend, sich auf Klarinettengestützter Melancholie einen Moment haltend, dann aber doch ins Schlagerformat abstürzend. Ein kleines Orchester musiziert live in einem in die grottenhaften Bühnenarchitektur eingelassenen Glaskasten, was Darsteller und Publikum über Monitore und Lautsprecher mal besser und mal schlechter verfolgen können. Gespielt wird wie im Zirkus in der mit Feuerstelle und Wasserfall archaisch modellierten Arena und auf dem Orchesterbalkon. Allerdings nicht J.R.R. Tolkiens Fantasy-Trilogie „Der Herr der Ringe“ von 1954/55, sondern – mit Ausnahme einiger Motive – der „Kleine Hobbit“ von 1937, also die Vorgeschichte. Wie der angesehene Hobbit Bilbo Beutlin in ein Abenteuer verwickelt wird, in dessen Verlauf er ins Zwergenland reist, den Drachen Smaug überlistet und dabei die Elben kennenlernt, die Menschen und die bösen Orks.

Auf deutsch ist die Geschichte bei dtv junior erschienen und mehr kinder- als abendpublikumstauglich wird sie auch gezeigt. In sinnfälligen Kostümen, simplen Choreographien und hölzernen Spielszenen („Morgen brechen wir auf. Furchtbare Gefahren lauern am Weg.“). Statt atemberaubender Pyrotechnik läßt der Zauberer Gandalf Knallerbsen fallen und nette Hobbitmädchen schwenken Plüschbienen an Angeln ins Publikum. Es gibt auch eine Trapeznummer, und zwischen all den Mühseligen und Überladenen im internationalen Ensemble findet sich mit John Davies als Darsteller des Ringwächters Gollum wie des Drachen Smaug sogar ein Showtalent.

Das Premierenpublikum wußte zu unterscheiden, war aber nicht böse. Nach einer zauberhaften Szene mit dem puppentheaterhaft von sieben Darstellern gebildeten Drachen gab es begeisterten Jubel, sonst freundlichen Applaus. Denn – die Idee des Zelttheaters wehrt sich gegen seine technische Unterminierung! – das Musical ist zwar miserabel, aber angesichts der Low-Tech-Realität erscheint die Riesenwerbemaschine letztlich als gewitztes Jahrmarktgeschrei und bekommen die Mängel Charme. Eine Kiezsache irgendwie. Bei Premieren-Freisekt und Schnittchen für alle scheint die irre Produktionssumme auch gut angelegt und ist das Personal ausgesucht freundlich. Eine Pleite mit Stil also, von Modernisierungsverlierern wider Willen, für die man in Berlin bestimmt Verständnis hat. Hingehen muß man deswegen nicht. Petra Kohse