Maos Erben werden untergehen

Der von Peking gehaßte letzte britische Gouverneur Hongkongs, Christopher Patten, legt den westlichen Regierungen nahe, mit der Volksrepublik China nicht anders umzugehen als mit anderen asiatischen Staaten  ■ Von Sven Hansen

Christopher Patten hat Glück gehabt. Nur einen Tag, nachdem er als letzter Gouverneur Hongkongs die britische Kronkolonie an China zurückgegeben hatte, brach mit der Abwertung der thailändischen Währung die Asienkrise aus. Sie ergriff bald auch Hongkong, so daß sich dort heute nicht wenige wehmütig an die Boomjahre unter Patten erinnern. Während der Aktienindex der neuen chinesischen Sonderzone die Hälfte seines Werts verlor und die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe stieg, brachte Patten seine in Asien gesammelten Erfahrungen zu Papier.

Das Werk des Politikers vom liberalen Flügel der britischen Konservativen war noch nicht erschienen, da machte der australische Medienmogul Rupert Murdoch dafür bereits kostenlos Werbung. Murdoch, in dessen Harper-Collins-Verlag das Werk erscheinen sollte, sorgte sich wegen der chinakritischen Äußerungen plötzlich um seine Geschäfte in der Volksrepublik. Er drängte auf eine Abschwächung, doch schon der Lektor machte den Zensurversuch öffentlich.

Dabei enthält Pattens Buch für diejenigen, die ihn kennen, wenig Überraschendes. In Zeiten der Asienkrise sind seine Gedanken, die er freilich schon vorher hegte, geradezu opportun. Wollte er ursprünglich davor warnen, nicht blind auf das asiatische Wirtschaftswunder zu setzen, so sieht er sich jetzt zur Warnung genötigt, den Fernen Osten nicht gänzlich abzuschreiben. Der frühere britische Minister und Wahlkampfmanager John Majors 1992 rechtfertigt zunächst die von ihm als Gouverneur in Hongkong durchgesetzten demokratischen Reformen. Das größte Versäumnis der britischen Kolonialregierung habe darin bestanden, die Entwicklung der Demokratie in Hongkong blockiert zu haben. Mit seinem Versuch, dies in der ihm verbliebenen Zeit zu bereinigen, erregte der letzte Gouverneur Pekings Zorn. Chinesische Offizielle, die ihn als einen „über tausend Generationen verdammten Kriminellen“, als „Dirne des Ostens“ und als „Giftschlange“ bezeichneten, ließen nichts unversucht, um Patten zu demütigen und zu isolieren.

Bitter war für Patten vor allem der Druck aus den eigenen Reihen. Britische Politiker, Beamte und Geschäftsleute drängten ihn, es doch wegen demokratischer Reformen nicht mit China zu verderben. Das würde nur den wirtschaftlichen Interessen Großbritanniens schaden. Patten dagegen sieht keinen Zusammenhang zwischem politischem Wohlverhalten China gegenüber und dem Handelsvolumen. Als Beleg nennt er Deutschland. Obwohl in Europa die Bundesrepublik die besten Beziehungen zu China habe, sei ihr proportionaler Anteil am Chinahandel von 1986 bis 1996 gesunken. Wenn die Deutschen die Rechte derjenigen einschränkten, die beim Besuch eines chinesischen Führers protestieren, erhielten sie dafür „nicht mehr als ein geschickt getarntes leeres Versprechen“. Die Chinesen betrieben ihr Geschäft ungeachtet des diplomatischen Getöses ähnlich wie alle anderen: „Sie kaufen die Güter, die sie wollen und benötigen, und das zum bestmöglichen Preis.“ Doch dabei spiele Peking die westlichen Länder gegeneinander aus.

Patten plädiert dafür, China wie jedes andere Land zu behandeln. Er verwahrt sich gegen die von einigen Experten verbreitete Ansicht, China sei anders. „Durch die Behauptung seiner Einzigartigkeit entzieht China sich dem rationalen Zugriff, und die Entwicklung politischer Richtlinien wird verhindert.“ Patten fragt: „Weshalb sollte China undurchschaubarer sein als Japan oder Indien?“ Den Vorwurf mangelnder Chinakenntnis versucht er durch zahlreiche Konfuzius-Zitate zu entkräften.

Für Patten haben Chinas Kommunisten mit ihrer Hinwendung zum Kapitalismus nur Zeit gewonnen. Für ihn ist das chinesische Regierungssystem zum Untergang verurteilt. Das offizielle China Daily schimpfte ihn darauf „einen verstaubten Ideologen und Größenwahnsinnigen mit Kalter- Kriegs-Mentalität“. Im Buch präsentiert sich Patten als liberaler Universalist. Das Konzept asiatischer Werte weist er zurück, kulturelle Unterschiede in der politischen Debatte hält für vernachlässigenswert. Stellenweise hat das Buch den Charakter eines Manifests für politischen und wirtschalftlichen Liberalismus.

Vor diesem Hintergrund ist Pattens Analyse der Asienkrise naheliegend. Während der vorangegangene fernöstliche Wirtschaftsboom für ihn auf freiem Handel und technischem Fortschritt beruhte, hätte der Verstoß gegen wirtschaftliche Grundregeln zur Krise geführt. Die betroffenen Volkswirtschaften seien längst ihren politischen Systemen entwachsen. „Es gibt keinen Grund zu der Annahme, daß es möglich sei, die Wirtschaft zu öffnen und gleichzeitig die Politik mit eiserner Hand zu umklammern.“ Für Patten ist die größte Lehre aus der Asienkrise, „daß die politischen und wirtschaftichen Regeln überall auf der Welt gelten“.

Patten negiert allerdings die inzwischen gewachsene Erkenntnis, daß auch das internationale Finanzsystem einer Regulierung bedarf.

In Großbritannien ist Patten zur Zeit als Nachfolger für EU-Handelskommissar Leon Brittan im Gespräch. Sollte er den Ende 1999 freiwerdenden Posten bekommen, wäre der Ex-Gouverneur auch für die EU-Politik gegenüber China zuständig. Dann könnte Patten die in seinem Buch geforderte einheitliche Politik Europas gegenüber der Volksrepublik formulieren.

Christopher Patten: „Asien. Das Ende der Zukunft. Der letzte Gouverneur von Hongkong über die ökonomisch-politische Entwicklung in Fernost“. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1998, 384 Seiten, 44 DM