■ Als Regierungspartei brauchen die Grünen eine neue Parteistruktur
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Die Grünen sind Regierungspartei geworden, und langsam setzt sich bei ihnen die Erkenntnis durch: Zum Regieren wird eigentlich keine Partei gebraucht. Die erfreuliche Tatsache, daß drei der Ihren als Minister die Geschicke des Landes mitlenken, hatte die Partei zu der irrigen Annahme verleitet, sie könnte etwas dirigieren. Das wäre allenfalls möglich, wenn sie gegenüber ihren Ministern einen Kollisionskurs steuerte. Dazu besteht kein Anlaß.

Noch sonnen sich die Grünen in den Scheinwerfern, die auf Bundesaußenminister Joschka Fischer gerichtet sind. Doch in ihrem Inneren macht sich bereits Leere breit, die der Leipziger Parteitag mit einer Strukturdiskussion nur mühsam kaschieren konnte. Die Grünen zeigen die Frühformen einer Malaise, deren entwickeltes Stadium man schon seit längerem an der FDP studieren kann. Deren Parteileben hat sich über Jahrzehnte auf die Regierungsteilhabe konzentriert. Erst sehr spät hat die FDP gemerkt, daß sie Partei stirbt, wenn dieser Impuls einmal entfällt. Über Liberalismus wird bei den Liberalen schon lang nicht mehr gestritten, um die immer weniger werdenden Posten dafür um so mehr.

Wollen die Grünen einem solchen Schicksal entgehen, müssen sie vorbeugen. Ihre Aufgabe kann nun nicht mehr darin bestehen, überkommene Grundsätze zu wahren und wie eine jesuitische Glaubenskongregation auf deren Einhaltung durch die Regierung zu achten. Solange die Grünen noch in der Opposition waren, konnten sie fröhlich darüber streiten, ob das, was die Partei beschlossen hatte, sich auch in den Anträgen der Fraktion wiederfindet. Das sorgte für Schlagzeilen, erhitzte bisweilen die Gemüter und beförderte eine programmatische Präzisierung, die das Regieren erst ermöglichte. Dieses Etappenziel ist erreicht.

Nun sind die Grünen damit nicht am Ende, sondern stehen vielmehr am Anfang einer grundsätzlichen Debatte über Zielsetzungen und deren Umsetzung. Die Probleme der postindustriellen Arbeitsgesellschaft, der Globalisierung und Individualisierung sind hinlänglich beschrieben. Das zu politischen Projekten zu bündeln und darüber eine gesellschaftliche Auseinandersetzung zu befördern, ist eine ungleich schwierigere Aufgabe.

Neue Zielorientierungen müssen in Einklang mit überkommenen Werthaltungen gebracht werden. Dabei sind auch liebgewonnene Politikmodelle in Frage zu stellen. Wie fragwürdig die bereits sind, kann am neuen Vorstand der Grünen studiert werden. Der wird künftig um den Posten einer frauenpolitischen Sprecherin bereichert. Sie ist den zwei Sprecherinnen zur Seite gestellt. Soviel Frau war noch nie. Von einem Signal wird gesprochen. Doch was besagt es? Wozu leistet sich ein Vorstand eine oberste Gleichstellungsbeauftragte, wo die Quoten mehr als erfüllt sind, aber dem repräsentativen Übergewicht nichts an Gehalt entspricht. Im Augenblick ihres offensichtlichsten Triumphes offenbart sich die Grenze grüner Frauenpolitik. Das Manko ist auf anderen Feldern der Politik nicht viel kleiner.

Die Grünen werden als Regierungspartei eine größere Differenz zwischen Programmatik und operativer Politik aushalten müssen. Dafür brauchen sie neue Strukturen. Der nun geschaffene Parteirat reicht dafür nicht aus. Er ist allenfalls ein erster Modellversuch. Und selbst dieser Versuch wäre schon im Ansatz gescheitert, wäre nicht die formelle Inkompetenz durch die Kompetenz der in Leipzig gewählten Mitglieder ausgeglichen worden. Die Qualität der Zusammensetzung wird durch die partielle Trennung von Amt und Mandat eingeschränkt. Eine Regelung, die nichts anderes als das tiefsitzende Mißtrauen der Partei gegen sich selbst ausdrückt. Die befürchtete Ämterhäufung soll durch das Statut eingeschränkt werden. Sie ließe sich aber auch durch die bewußte Nicht-Wahl von Personen verhindern. Solange der jetzt beschlossene Parteirat aber mit solchem Strukturkonservativismus behaftet ist, kann aus ihm kaum ein zukunftsfähiges Modell werden. Dieter Rulff