■ Nebensachen aus Madrid: Im kollektiven Weihnachtswahn
Die närrischen Tage in Madrid haben begonnen. Den Startschuß setzte wie jedes Jahr Bürgermeister José Maria Alvarez de Manzano. Am 1. Dezember – zur Einweihung des Weihnachtsmarktes auf der Plaza Mayor – trat er auf den Balkon seines Amtssitzes und trällerte dem Volke ein Weihnachtsliedchen. Der kollektive Wahnsinn zieht bis zu Drei König die gesamte Stadt in seinen Bann.
Es gilt sich gut vorzubereiten: Um dazuzugehören, empfiehlt sich dem Ortfremden zuerst ein Einkaufsbummel über den Weihnachtsmarkt auf dem arkadengesäumten Hauptplatz der Stadt. Daß die Buden alle das gleiche anbieten, sollte nicht schrecken. Das erleichtert uns nur das Vorhaben. Selbst ein Preisvergleich tut nicht not. Die Preise sind überall gleich. Unerläßlich für eine weihnachtliche Grundausrüstung ist die traditionelle Rätsche aus Holz, ein Tamborin, ein aufblasbarer Hammer und eine Niklausmütze. Wer etwas mehr anlegen will, sollte sich noch ein Furzkissen und eine Monstermaske mitnehmen.
So ausgerüstet geht es ab ins Nachtleben. Gelegenheit bieten sich mehr als genug. Kein Büro, kein Uniseminar, das nicht ein Weihnachtsessen veranstaltet. Die Teilnahme ist ein Muß, schon weil der individuelle Kneipengänger dieser Tage keinen Tisch bekommt. Die komplette Stadt ist reserviert. Nach einem schlechten Menü zu überhöhtem Preis geht es durch Bars und Diskos. Auf diesen nächtlichen Spaziergängen kommt erstmals unser Weihnachtspack zum Einsatz. Was ist schöner, als es zu mehreren dem Bürgermeister nachzutun und einen Song auf das Jesuskind einzustimmen. Rätsche und Tamborin markieren den Rhythmus. Je später die Nacht, um so lauter.
Denn wer vom Weihnachtsessen verschont allein zu Hause sitzt, hat auch das Recht an unserer Feststimmung teilzuhaben. Zwischendurch teilen wir ganz elegant nach links und rechts mit dem Hammer Schläge aus und lachen uns dabei krank.
Verkatert am Arbeitsplatz? Macht nichts, Madrid liegt sowieso lahm. Nur ein Sektor funktioniert. Der Einzelhandel. Mit Visa-Karte und Nikolausmütze bewaffnet geht es ab ins Gewühl. Verwaltungsbeamte, Arbeitslose und Hausfrauen tagsüber, der Rest bis 21.30 Uhr oder an den verkaufsoffenen Sonntagen. Das Auto sollte nicht zu Hause gelassen werden. Denn erst im Stau ist Weihnachten so richtig schön. Achtung: Geschenkt wird in Spanien an Drei König, schließlich wurde das Christkind an diesem Tag mit Weihrauch und Myrte überhäuft. Doch seit dem Anschluß an Europa gibt es seit neuestem zweimal Bescherung: am 24.12. und am 6.1.
Am Tag nach Drei König sehen wir uns alle wieder am Arbeitsplatz. Ohne einen Pfennig, Konto und Visa gesperrt. Und obwohl wir wieder für über 200 Mark Lose der Weihnachtslotterie gekauft haben, ging das Glück an uns vorbei. Jetzt beginnt das sparsame Leben. Aber es war ja für einen guten Zweck. Schließlich spenden etliche Unternehmen 0,7 Prozent ihrer Weihnachtsgewinne für die Überschwemmungsopfer in Mittelamerika. Rainer Wandler
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