Dem grünen Vorstand droht ein Machtverlust

■ Mit Bütikofer wurde überraschend ein Realo grüner Bundesgeschäftsführer. Doch weit mehr als der interne Streit zwischen den Flügeln könnte der Parteirat den neuen Vorstand gefährden

Leipzig (taz) – Als Reinhard Bütikofer nach knapper Abstimmung im dritten Wahlgang zum politischen Geschäftsführer gewählt worden war, als er die Umarmungen und Gratulationen von Freunden und Parteifreunden entgegengenommen und seinen Platz neben den beiden Vorstandssprecherinnen eingenommen hatte, da hockte in der Reihe hinter ihnen Jürgen Trittin, das Gesicht in eine Zeitung versenkt, die Falten um den Mund noch tiefer gefurcht als eh von ihm gewohnt. Er sah augenscheinlich keinen Anlaß zur Freude. Noch am Abend zuvor hatte er ausgeschlossen, daß der Landesvorstandssprecher aus Baden-Württemberg gewählt werden könnte. Der Babelsberger Kreis, der Zusammenschluß der Parteilinken, habe sich auf die Kandidatin Barbara Graf verständigt. Graf, ebenfalls in der Spitze des baden- württembergischen Landesverbandes tätig, konnte zudem den Frauenrat der Partei hinter sich wähnen.

Bütikofer ist das, was man bei den Grünen einen Oberrealo nennt. Doch das alleine war es nicht, was Trittin gegen ihn einnahm. Bütikofer wird zudem, auch von Leuten aus dem eigenen Lager, das Scheitern der Grünen angelastet, das sich mit dem Namen Magdeburg verbindet. Ihm wird verübelt, daß er bei den entscheidenden Absprache zwischen Linken und Realos vor dem Parteitag darauf bestanden hat, den Antrag selbst einzubringen, mit dem Kampfeinsätze der Bundeswehr akzeptiert werden sollten. Woraufhin Trittin darauf verzichtete, den Konsens in einer Rede zu unterstützen und das Desaster seinen Lauf nahm. Spricht man ihn heute auf sein damaliges Auftreten an, so räumt Bütikofer einen „Fehleranteil“ ein. Es sei ihm darum gegangen, eine Debatte anzustoßen.

Nach den Erfahrungen von Magdeburg schrieb sich die Partei die Überwindung der Strömungspolitik auf die Fahnen. Nun in Leipzig setzte sich bei der Wahl der Parteispitze dieses alte Entscheidungsmuster wieder durch. Der Abgeordnete Norbert Schellberg aus Berlin, der sich als Geschäftsführer-Kandidat gegen die überkommenen Strömungen präsentierte, ging darin sang- und klanglos unter. Bütikofer sprach sich ganz entschieden gegen oppositionelle Nostalgie aus. „Denen, die vor uns immer gewarnt haben“, so lautete sein Credo, „können wir zeigen, daß wir es besser können.“ Das hatte Trittin noch vor wenigen Tagen als „bloßer Wettbewerb um das bessere politische Konzept“ abqualifiziert. Für Bütikofers Wahl sprach, daß er in Baden- Württemberg sein Organisations- und Kampagnentalent unter Beweis gestellt hatte. Gegen ihn wandten manche ein, daß er als Mann hinter Gunda Röstel gilt. Er hat die Vorstandssprecherin aus Sachsen gebrieft und unterstützt seit sie in Bonn ihr Amt antrat.

Er versprach, nun Antje Radcke genauso zu unterstützen. Die neue Bundesvorsitzende ist allerdings der politische Gegenpart zu Bütikofer. Sie sieht sich als Linke und hält es für richtig, daß es die Flügel gibt, wenngleich sie darauf Wert legt, nicht Sprecherin der Linken zu sein. Sie steht für einen streitbareren Kurs in der Regierungskoalition. So griff sie, kaum daß sie im Amt war, Bundeskanzler Gerhard Schröder an. Dessen nationale Untertöne in der Europadebatte irritierten, seine Betonung der deutschen Interessen hält sie für „gefährlich“. Andererseits ist Radcke keine Linke, die die PDS für kooperationsfähig hält. Die müsse ihr Verhältnis zur Vergangenheit klären. Nimmt man noch die dritte Frau im Vorstand, die frauenpolitische Sprecherin Angelika Albrecht aus Berlin, dazu, so ist das Bild der strömungspolitischen Ausgewogenheit wiederhergestellt. Allerdings sprechen die Beteiligten von einem kooperativen Klima, Bütikofer als auch Radcke seien weniger Ideologen als Pragmatiker. In diesem Klima wollen sie das Grundsatzprogramm erarbeiten. Größer als die Gefahr eines vorstandsinternen Richtungsstreits ist die Gefahr eines Bedeutungsverlustes gegenüber dem Parteirat. Das neue Gremium hat zwar nur beratenden Charakter, aber in ihm sind alle versammelt, die gerne die Strippen ziehen. Dort werden dann wohl die Entscheidungen durchgesetzt werden, die der Vorstand nur noch ausführen darf. Dieter Rulff