750 Kilometer für mehr Bildung

168-Stunden-Demo gegen die Misere an Hamburgs Schulen hat begonnen. Senatorin Raab glaubt nicht, daß sie gemeint ist  ■ Von Judith Weber

Wie WettläuferInnen stehen die SchülerInnen am Start. „Vier Minuten noch“, ruft einer. Drei, zwei, noch eine – los: Fünf Scheren durchtrennen die rote Schnur, die den Anfangspunkt der längsten Demonstration markiert, die es in Hamburg je gab. Seit gestern marschieren rund 2100 SchülerInnen durch Hamburg, immer hin und her zwischen ihrer Zentrale, einem Bauwagen am Dammtorbahnhof, und der Schulbehörde an der Hamburger Straße; bei jeder Runde passieren sie das Rathaus, wo die Bürgerschaft heute den Bildungsetat für 1999 beschließen wird.

Morgens um acht, als die erste Gruppe aufbricht, sind die meisten Fenster im Rathaus noch unbeleuchtet. Die Fackeln in den Händen der Demonstrierenden fallen kaum auf neben den Scheinwerfern der Autos, die sich durch den Berufsverkehr quälen. Anita Rudolf ist sonst montags nie so früh wach. „Ich muß erst um eins zur Schule“, erklärt die Gesamtschülerin und reagiert empört auf die Vermutung, sie habe die ersten Stunden geschwänzt, um zu demonstrieren. „Das wäre ja blöd.“ Schließlich demonstriere sie unter anderem dafür, daß Unterricht planmäßig erteilt wird.

„Jeden Tag fallen Tausende von Stunden aus. Schüler werden über veralteten Büchern sitzen oder sich vor den wenigen Computern anstellen“, schimpft auch Julia Liedtke, Vorsitzende der SchülerInnenkammer. Auf ein Laken neben dem Bauwagen haben die Jugendlichen ihre Weihnachtswünsche geschrieben: junge LehrerInnen etwa, Internet-Anschluß und „eine neue Schulsenatorin“.

Die amtierende Chefin der Behörde, Rosemarie Raab (SPD), will an den Schulen jährlich zehn Millionen Mark sparen – vor allem bei Sachmitteln wie Heizung und Strom oder bei Büchern, bei denen die Behörde Preissteigerungen nicht mehr berücksichtigen will. Von den Forderungen der SchülerInnen läßt Raab sich nicht beeindrucken. Der Protest, erklärt sie, richte sich im Grunde nicht gegen sie, sondern „gegen die Konsolidierungspläne“. Der Unmut darüber werde lediglich personifiziert. Ansonsten sei die Demonstration „eine sehr kreative Form des Protests“ und als solche begrüßenswert: „Ich hoffe, daß die Schüler Erfolg haben und ins Guinness-Buch der Rekorde eingetragen werden.“

Mit 750 Kilometern, die die SchülerInnen im Laufe der Woche zurücklegen, könnte die Demo in der Tat die größte der Welt werden. Alle zwei Stunden übernimmt eine neue Gruppe das Protestplakat, das wie der Stab beim Staffellauf weitergereicht wird. Vor der Schulbehörde angekommen, zücken die SchülerInnen ein Handy, rufen in der Pressestelle des Amtes an und verlangen, die Senatorin zu sprechen – bisher allerdings erfolglos.

Unterstützt werden die Jugendlichen unter anderem von Elternräten verschiedener Schulen. Sie organisierten gestern abend einen Fackelzug und riefen dazu auf, die SchülerInnen „mit heißen Getränken zu versorgen“.

Auch die Polizei betrachtet die Demonstrierenden wohlwollend. Man werde die Protestzüge „im Auge behalten“, sagt Jörg Schmück, der die erste Gruppe begleitet. Doch schon beim zweiten oder dritten Rundgang dürfen die SchülerInnen ohne Polizei-Eskorte gehen; ein Beamter weist lediglich darauf hin, daß die Bannmeile rund um das Rathaus einzuhalten sei. Bürgerschaftspräsidentin Ute Pape (SPD) habe sich beschwert, weil einige DemonstrantInnen dem Gebäude zu nahe gekommen seien.