Umweltschutz ist kein Hauptstadtthema

■ Neue Berlin-Studie stellt nicht nur den Unterschied zwischen politischem Wollen und Tun heraus. Gerade verbesserter Umweltschutz erfordert mehr ressortübergreifende Maßnahmen

Seit fast einem Jahr gibt es im Berliner Abgeordnetenhaus die Enquetekommission „Zukunftsfähiges Berlin“. Sie soll ein Konzept erarbeiten, wie die umweltgerechte und sozialverträgliche Entwicklung der Metropole verwirklicht werden könnte, so wie es 1992 auf dem Erdgipfel in Rio de Janeiro vereinbart wurde. Gern präsentiert der Senat seine Enquetekommission als Vorzeigeprojekt. Die hehren Ideale von Rio finden sich in der Berliner Landespolitik jedoch kaum wieder. Gerade der Umweltschutz, eine der zentralen Forderungen der Agenda, spielt in der Hauptstadt nur eine untergeordnete Rolle. Zu diesem Ergebnis kommt auch die neue Berlin-Studie in ihrer Analyse der Berliner Umweltpolitik.

Im politischen Alltag zeigt sich diese untergeordnete Rolle immer wieder: wenn sich SPD und CDU streiten, wie sie eine vierspurige Straße finanzieren wollen, nie aber darüber nachdenken, ob es auch ohne diese Straße ginge, wenn die Große Koalition ankündigt, schwere Diesellaster aus der Innenstadt zu verbannen, gleichzeitig aber den Termin dafür immer weiter hinausschiebt.

In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und leerer Landeskassen hat Umweltpolitik einen schweren Stand. In Berlin zerreibt sie sich auch noch zwischen zwei Senatoren: Stadtentwicklungs- und Umweltsenator Peter Strieder (SPD) und Verkehrs- und Bausenator Jürgen Klemann (CDU). Der SPD-Mann ist vor allem an Stadtentwicklung und erst an zweiter Stelle an Umweltpolitik interessiert. Zwar nimmt er immer wieder Anlauf, seine Senatskollegen für den Umweltschutz zu gewinnen, setzt sich aber nur selten durch.

Meist scheitert Strieder an seinem Gegenspieler Klemann. Der Verkehrssenator hält an seiner Vorliebe für den Autoverkehr fest. Prestigeobjekte wie die Verlängerung der Stadtautobahn, Leitsysteme für den Individualverkehr oder auch der Transrapid als „Technologiewunder“ sind im Hause Klemann hoch willkommen. Die Nachteile – etwa ein höherer Kohlendioxidausstoß, die weitere Versiegelung von Flächen, weniger Zuschüsse für den öffentlichen Nahverkehr und mehr Lärm – werden in Kauf genommen.

Diese widersprüchliche Landespolitik wird zwar in der Berlin-Studie nicht direkt den beiden Senatoren angelastet, sie zieht sich aber wie ein roter Faden durch die Analyse der Umweltpolitik und läßt sich an vielen Beispielen festmachen – etwa am Thema Kohlendioxidausstoß. Berlin hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2010 den Ausstoß des Ozonkillers um die Hälfte zu reduzieren. 1995 war dieses Ziel zu 40 Prozent erreicht, stellte der Senat jüngst fest. Vor diesem Hintergrund, heißt es in der Studie, „erscheint eine Überprüfung und Neuausrichtung der Energie- und Klimaschutzpolitik notwendig“. Die Absicht ist löblich. Gleichzeitig wird jedoch „eine Verkehrspolitik betrieben“, so die Studie, „deren Priorität darauf gesetzt ist, Behinderungen des Autoverkehrs durch andere Vekehrsträger systematisch zu vermeiden“. Schon zwischen 1990 und 1995 ist der Anteil des Verkehrs an Berlins CO2-Emissionen um 3,4 Prozent gewachsen. Verkehrssenator Klemann rechnet mit weiter zunehmendem Autoverkehr.

Die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs nehmen im Gegensatz dazu ständig ab. Eine Umfrage unter Umwelt- und Wirtschaftsverbänden kam, trotz der unterschiedlichen Interessen der Befragten, zu dem Ergebnis, daß die „mangelnde Zusammenarbeit und Koordination“ zwischen Stadtentwicklungs- und Verkehrssenator die Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr auf den öffentlichen Nahverkehr verhindert.

Es wundert nicht, daß die Autoren der Studie für die Umweltpolitik vor allem eine ressortübergreifende Zusammenarbeit fordern. Vereinzelte isolierte Maßnahmen hätten eine ungünstige Kosten- Nutzen-Relation zur Folge und brächten „ökologisch geringe Effekte“. Fatalerweise bestätige das Vorurteile in dem Sinn: Nachhaltige Stadtpolitik verursache zusätzliche Kosten. Schließlich kann eine Zusammenarbeit nach Ansicht der Autoren auch erreichen, was der Umweltpolitik am meisten fehlt: Breitenwirkung. Jutta Wagemann