Ein Riff mit Namen Daniela

Träge, aber unerschütterlich bewegt sich Manfred Stolpes SPD in Brandenburg. Jetzt sind die Sozialdemokraten aufgelaufen. Im Konflikt um die Schriftstellerin Daniela Dahn erweist sich die Machtmaschine als zerbrechlich  ■ Aus Potsdam Georg Löwisch

Daß Manfred Stolpes SPD ausgerechnet an Daniela Dahn geraten mußte. Nicht, daß es den mit CSU-gleicher Machtvollkommenheit herrschenden Sozialdemokraten an Skandalen gemangelt hätte. Von der Stasi-Affäre des Ministerpräsidenten ging es über Schlampereien in Regine Hildebrandts Sozialministerium zum Justizminister Hans-Otto Bräutigam, der den Ausbruch eines bundesweit bekannten Schwerverbrechers rechtfertigen mußte. Doch noch immer gelang es den Sozialdemokraten in Eintracht von Regierung, Fraktion und Partei, die Krisen auszusitzen. Bis Daniela Dahn kam.

Sie ist eine Meisterin in der Kunst des Polarisierens. Mit ihren Streitschriften versucht sie polemische Schneisen in übliche Sichtweisen zu schlagen. Gerade diese Eigenschaft ist es, die Dahn den Ruf einer Stimme des Ostens einbrachte. Und es ist der Grund, aus dem die PDS sie dem Landtag als Verfassungsrichterin von Brandenburg vorschlug.

Nun hätte eine große Debatte darüber einsetzen können, ob die scharfzüngige Dahn wirklich die Richtige ist für das Amt einer Obersten Richterin. Doch die SPD machte es lieber wie gewohnt. Immer hatte schließlich Stolpe gemeinsam mit Fraktionschef Wolfgang Birthler und Parteichef Steffen Reiche der Basis die Entscheidungen abgenommen. Immer hatten die Abgeordneten von Tag zu Tag ihre Vorlagen durchgesehen. Und nie hatten sich die kleinen Politiker aus der Lausitz und dem Märkischen Gedanken machen müssen, daß ihre Vorderleute das Falsche für sie entscheiden.

Allein Daniela Dahn zwingt durch ihre zugespitzten Thesen zu eigenen Gedanken. Sie stellte die SPD vor Gewissensfragen. Damit konfrontiert, erwies sich die Regierungspartei als zerbrechliches Gebilde. Wochenlang quälte sie sich bis zur heutigen Fraktionssitzung, zu der auch Dahn eingeladen ist. Übermorgen will sie abermals zur Richterwahl antreten.

Der Punkt, vor dem sich die Abgeordenten nicht drücken konnten, sind Dahns Thesen zu den Prozessen von Waldheim. In der sächsischen Stadt wurden 1950 über 3.000 Menschen in politischen Schnellverfahren als Naziverbrecher abgeurteilt. 32 Todesurteile sprachen die Richter. „Mord? Exzeß?“ hinterfragt Dahn in ihrem Buch „Die Vertreibung ins Paradies“ das bisherige Geschichtsbild. Die Prozesse müßten vor dem Hintergrund von Verhaftungen und Lynchjustiz in anderen Staaten Europas gesehen werden. Die Forderung, es hätte „formaljurstisch perfekte Prozesse“ geben müssen, sei „unhistorisch, lebensfremd, fanatisch – unmenschlich“. Nach Dahns Meinung waren die meisten der Verurteilten ohnehin „Nazijuristen“, die nach 1989 auch noch rehabilitiert worden seien. In einem Richter, der 1997 eine Waldheim-Richterin wegen Rechtsbeugung, Totschlags und Freiheitsberaubung verurteilte, sah die Schriftstellerin einen „stehengebliebenen Antikommunisten“, der aus Rache handelte.

Obwohl das Buch seit Monaten vorliegt, wäre wohl kaum ein SPD- Abgeordneter auf die Idee gekommen, sich damit zu beschäftigten. Jedoch mußten einige Parlamentarier aufmerksam werden, als sie Briefe wie den des 89jährigen Heinz-Joachim Schmidtchen bekamen. Der Mann erklärte, er sei 1946 mit 16 Jahren verhaftet worden, nachdem er mit Freunden Plakate gegen den Zusammenschluß von SPD und KPD zur SED geklebt hatte. In Waldheim sei er als „Hauptverbrecher“ angeklagt, dann zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden, ohne daß ein Zeuge oder ein Verteidiger zugelassen war. Er bitte die Abgeordneten, schrieb Schmidtchen, Dahn nicht zu wählen. „Es ist einfach unerträglich, daß eine Person, welche die Wahrheit bewußt so verfälscht, in einem Bundesland Verfassungsrichterin werden soll.“

Da gärte es in der SPD. Als sich Dahn im Herbst der Fraktion erstmals persönlich vorstellte, wurden vorsichtige Fragen zu Waldheim gestellt. Es war aber nicht so, daß nun eine wirkliche Auseinandersetzung begann. Bei einer Probeabstimmung war die Mehrheit für die Autorin. Erst wenige Tage vor der geplanten Wahl appellierte der Abgeordnete Andreas Kuhnert in einem Brief an die Fraktion, Dahn nicht zu wählen, da sie außerhalb des Rechtsstaates stehe. Bei der nächsten Fraktionssitzung lehnte auf einmal die SPD-Mehrheit die Kandidatin ab, gegen den Willen der kompletten Führungsriege. Die Wahl wurde verschoben.

Die SPD-Chefs für etwas, die Mehrheit dagegen: Das hatte in Potsdam noch niemand erlebt. Sofort machte die Botschaft die Runde, da habe der Parlamentarierer Kuhnert im Alleingang eine ganze Fraktion in seinen Bann geschlagen. Doch wer den Mann in seinem kleinen Landtagsbüro besucht, findet keinen Demosthenes von Brandenburg, sondern einen eingeschüchterten Pfarrer aus der Mittelmark. Er sagt: „Es ist sonst so, daß ich eher Schwierigkeiten habe, meine Position durchzubringen.“ Da muß man sich Kuhnerts Brief eher wie einen Katalysator vorstellen, durch den der so ungewohnte Streit entbrannte.

Nun ist die SPD gespalten wie nie. Da ist zum Beispiel Ingo Decker, Pressesprecher der Fraktion. Soll er die Mehrheitsmeinung vertreten oder die seiner Chefs? Er löst das Dilemma, indem er seiner persönlichen Einschätzung vertraut: gegen Dahn. Zur Absicherung hat er sich ihre Texte und Literatur über Waldheim besorgt. Ein Vorgehen, wie es die Abgeordneten versäumten. Seither ist Decker Motor der Ablehnung, der, von seinen Recherchen gestärkt – „Mein lieber Herr Gesangverein!“ –, empörte Sätze ausspuckt: „Krude Bagatellisierung des Stalinismus!“

In der SPD klagen sie, die Spitzenleute hätten durch ein rechtzeitiges Votum die Entscheidung erleichtern müssen. Die Verzweiflung reicht so weit, daß einer allen Ernstes behauptet, SPD-Kolleginnen seien gegen die Schriftstellerin, weil die hübscher sei als sie.

Seine Partei, schimpft Landeschef Reiche, habe sich „gebärdet, wie es ein Wahlkampfmanager der PDS nicht hätte besser inszenieren können“. Entstehe der Eindruck, daß die SPD die „Stimme des Ostens“ ablehnt, analysiert auch Pressesprecher Decker, „dann haben wir ein Problem“. Wählt die Fraktionsmehrheit aber Dahn wider Erwarten doch, würde sie als wankelmütig verlacht.

Die PDS kann sich freuen. Bisher gab ihr die SPD kaum Anlässe, sich als ausgegrenzt darzustellen. Jetzt kann PDS-Chef Lothar Bisky die Sozialdemokraten ein knappes Jahr vor der Landtagswahl genüßlich bezichtigen, eine kritische Schriftstellerin zu denunzieren. Auf seiner Seite stehen Geistesriesen von Günter Grass bis Walter Jens. Das Votum der SPD „beschädigt das Ansehen des Landtags von Brandenburg“, erklärten sie in einem Brief.

Steffen Reiche möchte die Angelegenheit gern schnell vom Tisch haben. Diesen Monat noch müsse die Entscheidung fallen. „Dann werden wir Weihnachten feiern und Silvester auch, um im Januar das Wahljahr zu beginnen“.