■ Hamburgs SchülerInnen auf der Straße: Die 168 Stunden der längsten Demo der Welt. Teil 1
: Die Marathon-Männer

52.400 Schritte schon. Keinen mehr und keinen weniger, Tim hat das genau ausgerechnet. „Geht man von 80 Zentimetern Schrittlänge aus“, erklärt der Gesamtschüler, habe er bereits 52.400 mal ein Bein vor das andere gesetzt, auf dem Weg zu seinem persönlichen Demonstrationsziel: dem 24stündigen Protest. Einen Tag und eine Nacht lang will Tim für bessere Bildung auf die Straße gehen, gemeinsam mit seinem Freund Patrick.

Am Montag gegen Mitternacht haben sie sechzehn Stunden sowie – mit Pausen – rund 45 Kilometer hinter sich. Morgens um acht sind sie mit der ersten Gruppe gestartet; nachts sind sie immer noch dabei und schwanken zwischen Erschöpfung und Euphorie. Bis zur Nase versteckt Tim sich in seiner roten Daunenjacke, während Patrick kämpferisch verkündet: „Wir wollen zeigen, wieviel man schaffen kann, wenn eine Sache wichtig ist.“ Außerdem habe die Aktion auch eine sportliche Komponente. „Mal sehen, wozu wir so in der Lage sind“, ruft der Zwölftkläßler.

Dazu schwenkt er die Fackel, die selbstgemacht ist und deshalb „superlange hält“. Zudem riecht sie gut, denn in das Kerzenwachs um den Docht haben die Schüler der Erich-Kästner-Gesamtschule in Farmsen Rasierwasser gemischt. Nichts Sportliches oder Edles, was sie selbst benutzen würden, „nur so einen Opa-Duft“.

Der weht hinter den beiden her, als sie zum sechsten Mal am Tag über die Kennedy-Brücke wandern. Der Wind läßt das parfümierte Wachs auf die Hände tropfen, und der Rest der Demo-Gruppe wird immer schneller. Oder werden Patrick und Tim langsamer? Die Pause, in der sie sich „ein paar Frikadellen reingezogen haben“, ist schließlich schon eine Weile her; die Beine werden langsam schwer.

Als die anderen Demonstrierenden nachts gegen eins die Mundsburger Brücke erreichen, sind die beiden Marathon-Protestler nicht mehr zu sehen. „Ich glaube, die sind vorhin zur Tanke rübergegangen“, mutmaßt eine Schülerin. Der 24-Stunden-Versuch ist gescheitert, stellt sie nach einer weiteren halben Stunde trocken fest: Die Gruppe steuert wieder auf den Bauwagen, Ausgangspunkt jeder Runde, zu.

Patrick und Tim sind nirgends zu sehen.

Judith Weber