Reiche haben bessere Chancen –betr.: „Der Tod, das muß ein Grüner sein“, „Geld oder Leben“ Kommentar vom Markus Franz taz vom 12./ 13. 12. 98

Ein Ärztepräsident, der öffentlich darüber nachdenkt, aus materiellen Gründen das Lebensrecht von PatientInnen zur Disposition zu stellen, hat die dafür passende Zeit um etwa 60 Jahre verfehlt...

Von der taz hätte ich mir in diesem Fall gewünscht, daß sie ein Foto verwendet, auf dem die Identität des Verstorbenen nicht zu erkennen ist. Auch der Gang von einer Welt in eine andere ist ein sehr persönlicher. Auch Verstorbenen steht es zu, würdevoll behandelt zu werden, was leider oftmals nicht passiert. Thomas Berger, Bremen

Fast könnte er mir leid tun, unser Ärztepräsident (kein Freund von mir!). Denn selten ist einer für das Aussprechen einer Binsenwahrheit so gescholten worden wie er, selten lag auch ein Kommentar so daneben wie der von Markus Franz.

Die Binsenwahrheit: Ausgaben für das Gesundheitswesen haben einen Einfluß auf Morbidität und Mortalität der Bevölkerung (wäre es anders, könnte man sich alle Ausgaben sparen). Das heißt aber, daß Ausgabenbegrenzung (Budgetierung) auch Begrenzung von Gesundheits- und Lebenschancen bedeutet. Nichts anderes hat Vilmar – etwas ungeschickt – gesagt.

Die Crux liegt darin, daß sich die Sozialversicherung, ursprünglich konzipiert als Absicherung existentieller Risiken für die Besitzlosen, längst zur Rundumfürsorge entwickelt hat, die alles (von A wie Abtreibung bis Z wie Zeugungsunfähigkeit) für alle bezahlt. Jetzt finden Politik und Krankenkassen, daß das alles nicht mehr bezahlbar ist, möchten das aber ihren Wählern und Beitragszahlern nicht so deutlich sagen. In diesem Dilemma schiebt man den Ärzten den Schwarzen Peter des Sparkommissars zu. Dagegen wehrt sich Vilmar zu Recht.

Im übrigen, lieber Markus Franz, sind die Arzthonorare schon längst begrenzt (budgetiert). Die wiederaufgewärmte Mär von den stinkreichen Ärzten hat einen ellenlangen Bart. Heute kämpft sich ein Großteil der Kassenärzte mit Einkommen durch, die jedem Studienrat die Tränen in die Augen treiben würden.

Was not tut, ist eine offene und ehrliche Debatte darüber, was künftig bezahlt werden soll und was nicht. Hier müssen Politik und Krankenkassen Farbe bekennen. In anderen Ländern ist die Diskussion längst in Gang. Der NHS in England hat Altersgrenzen zum Beispiel für Nierentransplantationen oder Herzschrittmacher eingeführt. Selbstverständlich bedeutet das, daß Reiche größere Überlebenschancen haben. Aber noch hat niemand England aus der Liste der zivilisierten Nationen gestrichen. Wir nehmen in vielen Bereichen achselzuckend hin, daß Reiche bessere Chancen haben. Denn selbstverständlich hat ein Besitzer der S-Klasse bei einem Unfall bessere Überlebenschancen als ein Kleinwagenfahrer, hat ein Bewohner des sächsischen Chemiedreiecks ein größeres Morbiditätsrisiko als ein Villenbewohner im Tessin. Hat schon jemand den Mercedes oder die Villa im Tessin auf Krankenschein gefordert?

Vilmar hat tatsächlich den Finger in eine Wunde gelegt, die die gesamte Gesellschaft immer mehr schmerzen dürfte, wenn sie sich nicht bald darum kümmert. G. Köppl, Flensburg

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