Blutrünstige Nazipropaganda

In Berlin begann gestern ein Prozeß wegen Vertriebs von Skinhead-Musik. Den fünf Angeklagten droht eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren wegen Volksverhetzung  ■ Von Plutonia Plarre

Auf die neue CD der Berliner Neonaziband Landser war die Szene ganz heiß. Schließlich haben sich die blutrünstigen, volksverhetzenden Songs schon in der Vergangenheit großer Beliebtheit erfreut. Nach den Verboten der ersten beiden Scheiben war beim Vertrieb konspiratives Vorgehen angesagt. Doch diesmal hatte der Verfassungsschutz nicht geschlafen: Nach der Übergabe der neuesten Landser-CD am 15. Oktober 1998 klickten in Berlin die Handschellen. Bei der folgenden Durchsuchung eines Pkw mit Hamburger Kennzeichen und mehrerer Wohnungen in Berlin und im Bundesgebiet wurden 500 Exemplare der CD „Rock gegen oben“ beschlagnahmt.

Vor einer Staatsschutzkammer des Berliner Landgerichts begann gestern der Prozeß wegen der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organsationen, Volksverhetzung und öffentlicher Billigung von Straftaten.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß die CD in den USA gepreßt wurde und auf dunklen Wegen nach Deutschland kam. „Heil euch, Kameraden“, heißt es auf dem CD-Cover, neben Bildern des Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis. „Deutschland ist noch nicht verloren“, heißt es am Schluß. Es folgt ein verschlüsselter Code aus dem Alphabet: die Zahl 88 steht für „Heil Hitler“. In den Songs nehmen die Landser vor allem die Ausländer aufs Korn. In dem Lied „Kreuzberg“ heißt es: „Wenn's auf der Straße plötzlich nach Scheiße riecht, bist du in Kreuzberg, Kreuzberg.“ „In den Bergen von Chuanda“ feiert einen Sprengstoffanschlag in Österreich, bei dem 1995 vier Roma ums Leben gekommen waren. Im „Pollacken-Tango“ wird das polnische Volk als „Scheißvolk“ bezeichnet, der Titel „Sturmführer“ glorifiziert die SS.

Auf der Anklagebank saßen vier kurzgeschorene Männer im Alter von 20 bis 26 Jahren mit harten, verschlossenen Gesichtern sowie eine 28jährige Frau. Die Krankenschwester ist die Lebensgefährtin des Hauptangeklagten Martin R., ein Pharmaziestudent, der in der Berliner Apotheke seiner Eltern nicht nur jobbte, sondern auch deren Lagerräume als Depot für die Landser-CD genutzt haben soll. Martin R. und der aus Hamburg kommende Tobin K. sagten gestern aus, der Rest hüllte sich in Schweigen. Die behaupteten, den Inhalt der CD nicht gekannt zu haben. Im Auto der Lebensgefährtin von Martin R. wurde jedoch eine Musikkassette der Songs von „Rock gegen oben“ gefunden. Nach Angaben des Berliner Innenstaatssekretärs Kuno Böse (CDU) sind in Berlin fünf rechtsextremistische Skinhead- Bands aktiv: die Landser, Macht und Ehre, Spreegeschwader, Dr.- Sommer-Team und Legion of Thor. In diesem und dem letzten Jahr seien rund 13 Ermittlungsverfahren wegen der Verbreitung von gewaltverherrlichenden rechtsextremistischen Tonträgern eingeleitet worden, erklärte die Staatsanwaltschaft. Berlin sei kein Zentrum, „Brennpunkt sind die neuen Bundesländer“.

Kenner der Szene sprechen von einem „riesen Markt“. Von den weit über 500 bekannten Skinhead- und Neonazimusikprodukten seien nur ganz wenige verboten. Aber auch die Verbote seien kein Hindernis: „Einer bekommt's und kopiert's.“ Daß rechtsextremistische Organisationen die Rockmusik zunehmend als Vehikel zum Erreichen von neuen Anhängern nutzen, hat unlängst der Prozeß gegen das NPD-Vorstandsmitglied Frank Schwerdt in Berlin gezeigt. Schwerdt hatte als Leiter des Verlages VBR-Vortrag Buchreise eine CD der thüringischen Skinhead- Band Volksverhetzer vertrieben und war dafür mit neun Monaten Haft bestraft worden. Auch die fünf Angeklagten im Prozeß um die Landser-CD müssen mit einer Freiheitsstrafe rechnen. Der Strafrahmen geht bis drei Jahre Haft. Einer ihrer Anwälte ist der frühere Bundesvorsitzende der 1994 verbotenen Wiking-Jugend. Der Prozeß wird fortgesetzt.