„So viel Arme, so viel Beine“

Bisher war Christine Lindemann immerhin die bekannteste deutsche Handballerin. Während der EM-Vorrunde erweist sie sich als echte Weltklassetorhüterin  ■ Aus Amsterdam Ralf Mittmann

Das Lob kam von einem, der es wissen muß. „Die deutsche Torhüterin ist eine der besten der Welt“, sagte Hollands Trainer Bert Bouwer in fließendem Holländisch- Deutsch, „so groß, mit so viel Armen und so viel Beinen.“ Er zeigte, wieviel. Tatsächlich ist Christine Lindemann 1,88 Meter groß. Eigentlich hat sie auch nur zwei Beine und zwei Arme, aber das war schon genug, um EM-Gastgeberin und Tabellenletzte Holland in der „Sporthallen Zuid“ von Amsterdam mit 19:18 (11:8) zu schlagen. „Der Torwart“, wie sich der deutsche Trainer Ekke Hoffmann auszudrücken pflegt, hatte in der ersten Halbzeit von 20 Versuchen des Gegners 12 abgewehrt.

Genug, damit das DBH-Team den gestrigen Ruhetag mit 6:0 Punkten als Tabellenführerin verbringen konnte. Glücklich war Trainer Hoffmann deshalb nicht. Im Gegenteil, er regte sich gestern mächtig auf über die „Fahrlässigkeiten“ im Spiel. In den restlichen Gruppenspielen gegen Ungarn (heute, 20 Uhr) und Rumänien (Donnerstag, 18 Uhr, beide live im DSF) bedarf es tatsächlich einer Leistungssteigerung, damit das Ziel (Spiel um Platz fünf) nicht in Gefahr gerät. Ganz zu schweigen von der Halbfinalteilnahme, die die Qualifikation für Sydney bedeuten würde.

An Lindemann gibt es allerdings nichts zu mäkeln. Schon beim 25:24 gegen Österreich hatte sie mit elf Glanzparaden das Spiel gewinnen müssen, beim 28:27 gegen die Ukraine hielt sie in einer entscheidenden Phase zwei Siebenmeter hintereinander. „Spannend, spannend, spannend muß es sein, das liebe ich“, sagte Lindemann danach, mit einer Einschränkung allerdings, weil „am Ende schon die Erlösung kommen muß mit dem Sieg“.

Lindemann (28) besitzt die Gabe, Erlebnisse, Gefühle, Gedanken auf eine Art und Weise auszudrücken, daß Weghören und Wegsehen unmöglich sind. Das ist die eine Seite. Aber die intelligente Sportstudentin, die zudem im November ein Fernstudium in der Disziplin Sportmarketing mit dem Diplom erfolgreich abgeschlossen hat, weiß dazuhin auch, gelernte Theorie praktisch anzuwenden. Stichwort Öffentlichkeitsarbeit: Erfolg zu haben allein reicht nicht aus, man muß sich auch über den sportlichen Wettkampf hinaus darzustellen wissen.

Ein Jahr ist es her, daß eine Sportmarketingagentur die deutschen Handballerinnen vor der WM im eigenen Lande als Models für Unterwäsche und Freizeitkleidung auftreten ließ und sie bei diversen PR- und TV-Terminen einer breiten Öffentlichkeit präsentierte. Die Imagekampagne war ein voller Erfolg, zumal sie sportlich bestätigt wurde durch die Bronzemedaille.

Ein Jahr danach genügt ein Wort, um diese Frage zu beantworten. Kontinuität, mehr Kontinuität hätten sie gerne gehabt, daß länger anhält, was damals „so unglaublich auf uns eingestürzt ist“ (Spielführerin Michaela Erler), was „so bombastisch war“ (Lindemann). Ein wenig Ernüchterung verspüren sie, von Resignation freilich keine Spur. „Die Sponsoren sind geblieben“, sagt Erler, „und unsere Selbständigkeit wurde noch gestärkt.“ Eine weitere Zusammenarbeit mit professionellen Sportvermarktern scheiterte aber an der Finanznot des Deutschen Handball-Bundes. Lindemann sieht ohnehin nicht nur den DHB in der Pflicht. Auch die Vereine müßten geeignete Maßnahmen durchführen, fordert die Diplomsportmanagerin, wobei sie sich einer doppelten Problematik durchaus bewußt ist: Ehrenamtlichen Funktionären fehlen Wissen und Zeit, qualifizierte Fachleute können (oder wollen) die Klubs nicht finanzieren. Ergo, sagt Erler: „Ohne Fulltimejobs für Profis ist nicht mehr drin.“

Blieben die Sportlerinnen selbst. Christine Lindemann kann guten Gewissens sagen, „daß ich einen Bekanntheitsgrad habe, der über Handballfachleute hinausgeht“. Das Handicap aus ihrer Sicht: Viele Spielerinnen wollten das aber gar nicht, weil sie „scheu sind, einfach Handball spielen und danach ihre Ruhe haben wollen“.

Jedem das Seine also? Nicht ganz, denn im Frauensport gibt es beim „Selfpositioning“ neben den beeinflußbaren Faktoren Bereitschaft, rhetorisches Geschick und Erfolg noch einen Faktor, der bei Männern – sorry, Georg Hackl! – eine untergeordnete Rolle spielt. Das männliche Diktat in der Medienwelt des Sports kann man vereinfacht so ausdrücken: reden muß man können oder aussehen können oder, noch besser, gleich beides. Kein Wunder, daß eine wie Lindemann mehr im Rampenlicht steht als die meisten Kolleginnen. Eifersüchteleien? Schon, sagt sie, „aber das kommt ja allen zugute“.