Kiezfest der Würstchenbudnerei

■ Schule des Marxismus statt urbaner Wohlfühlphilosophie: Ein Reader über "Die Kunst des Öffentlichen" versammelt diverse Projekte zur Kritik am Verschwinden des öffentlichen Raums

In der Debatte um Berlin, Hauptstadtkultur und Neue Mitte werden KünstlerInnen zu Rate gezogen, wenn es um symbolische Bewältigung geht. Die einen reichen Projekte für Kunst im neugestalteten Reichstag ein, andere beschäftigen sich mit dem Holocaust- Mahnmal, und der Rest richtet Clublounges für BerlinbesucherInnen ein. Während West- und Ost-Berlin in den achtziger Jahren als widerständige Nischen für Punks beziehungsweise Prenzlauer-Berg-Poeten galten, sind die Wege des Urbanen zwischen kritischer Rekonstruktion und Dienstleistung heute äußerst schmal geworden.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch in dem Reader „Die Kunst des Öffentlichen“ wider, den der Berliner Kunstkritiker Marius Babias gemeinsam mit Achim Könneke vom Referat bildende Kunst der Kulturbehörde Hamburg herausgegeben hat. Weil die Hansestadt ein Programm zur „Kunst im öffentlichen Raum“ betreibt, konnte von 1997 bis zum Herbst 1998 das Projekt „weitergehen“ realisiert werden. Dazu wurden KünstlerInnen eingeladen, die sich mit sozialen Problemen auseinandersetzen, anstatt wieder nur eine Außenraumskulptur abzuliefern. Dellbrügge/de Moll stellen auf einer Homepage eigene Produktionsbedingungen dar (http://hamburg-ersatz.trmd.de); die AG Park Fiction entwickelte ein Naherholungskonzept für St. Pauli; und Christian Philipp Müller untersuchte die Hamburger Museumsmeile am Hauptbahnhof als Marketingfaktor.

Das ganze Projekt hat indes Modellcharakter: Kunst im öffentlichen Raum bezieht sich nicht mehr auf ästhetische Phantome, sondern auf soziale, kommunikative und ökonomische Kontexte. Insofern ist Hamburgs „weitergehen“ ein Lösungsversuch für Probleme, von denen man in Berlin – mit Ausnahme der Veranstaltung „baustop. randstadt“, die das Zusammenspiel von Stadtplanung und sozialem Umbau kritisierte – (noch) nichts wissen will.

Der Reader setzt die Analyse öffentlicher Räume fort, ohne allerdings Ergebnisse des „weitergehen“-Projekts zu konkretisieren. Gegen das fließende Sowohl-Als- auch von Gilles Deleuze setzt man auf die marxistisch geschulte Stadtkritik des Situationismus à la Henry Lefèbvre. Jedes Kiezfest gelangt dabei in den Ruch neoliberaler Würstchenbudnerei, und Berlin ist trotz Spaßfaktoren wie Kranballett oder Mitte-Galerien nur ein Monopoly-Steinchen auf der globalisierten Landkarte. Für dieses „Stadt als Ware“-Syndrom haben Jesko Fezer und Axel J. Wieder in einem dicht argumentierenden Essay zahlreiche Belege gefunden, die von der Spektakelfußgängerzone in Stuttgart bis zum Berliner Mercedes-Event mit der spanischen Tanzgruppe La Fura dels Baus 1997 reichen. Ihr Resümee: Der öffentliche Raum wird von Unternehmen teilprivatisiert und mit Kultur gefüllt, damit die Öffentlichkeit diesen Entzug ihres Raumes nicht bemerkt.

Überhaupt fehlt eine Theorie für diese Verschiebungen von Öffentlichkeit – und parallel Bewertungskriterien der damit verbundenen Kunst. Die meisten Beiträge reagieren statt dessen allein auf geschichtlichen Wandel: Aufsätze von Stella Rollig und Christian Kravagna arbeiten anhand der Entwicklung von Projekten, die an eine soziale Praxis gekoppelt sind, in der Hauptsache Interna aus dem Betrieb auf. Für Rollig, die das Wiener Depot mit kuratiert hat, ist das Ende der Fahnenstange in Sachen Öffentlichkeit und Teilhabe bereits erreicht. Waren entsprechende Kunstprojekte wie die New Yorker Aids-Aktivisten „Act Up“ als Gegenöffentlichkeit innovativ, so setzt sich laut Rollig in neueren Initiativen Kunst im Leben nur noch als Verwaltungsakt fest. Der cultural worker wird eben bei sozialen Problemen hinzugezogen, sei es im Umgang mit der Züricher Drogenszene oder bei lokalen Fragen der Asylpolitik. Dagegen beklagt Kravagna, daß diese Art sozialer Service nur die künstlerischen Karrierewünsche verschleiert – jedes Projekt ist genau wie alle anderen Ausstellungen zeitlich limitiert.

Daß öffentlicher Raum dennoch neu definiert werden kann, erläutern zwei Beiträge von Pit Schulz und Mercedes Bunz. Schulz überträgt die sozialen Reibungspunkte auf die Informationspolitik im Internet und stellt fest, daß es an der Zeit wäre, „über neue Koalitionen nachzudenken, die den ,information poor‘ Möglichkeiten des Zugriffs auf Standard-Software und Basiswissen sicherstellen“. Umgekehrt schildert die Musikjournalistin Bunz, wie sich selbst in der Clubkultur zwei Arten von Suböffentlichkeit ausgeformt haben: Während das Berliner E-Werk von Beginn an Jugend in Kapital transformiert habe, konnte eine Straßenecke weiter „Ihr Friseur“ für zwei, drei Jahre als offener Kommunikationsort existieren, der quasi als herrschaftsfreies Kunstlabor auch veränderte soziale Beziehungen mit sich brachte. Einen Moment lang sei damit Techno in den Politpop der 90er Jahre überführt worden.

Für John Miller ist das korrekte Öffentlichkeitsverständnis der Linken nicht das Problem. Sein Text „Heil Hitler! Have A Nice Day“ dokumentiert, wie in den USA seit dem Manson-Kult das antistaatliche Sektierertum mit einer Formierung der neuen Rechten einhergeht. Diese Gruppen sind bewaffnet, christlich verwurzelt und von Idealen geleitet, die Jefferson 1776 in der Unabhängigkeitserklärung festgeschrieben hat. Der moderne Staatsfeind, so Miller, kommt von rechts. In Berlin werden sich die „Helicops“ darum kümmern. Harald Fricke

Marius Babias/Achim Könneke: „Die Kunst des Öffentlichen“. Verlag der Kunst 1998, 240 S., 38DM