: "Wir wollen in die erste Gruppe"
■ Der litauische Regierungschef Gediminas Vagnorius über die Hoffnung seines Landes auf einen baldigen Beitritt zur Europäischen Union, die Erwartungen an Brüssel und die Beziehung zum Nachbarn Rußland
taz: Wann wird Litauen Mitglied in der EU?
Gediminas Vagnorius: Ich hoffe, daß wir 2004 beitreten können. Von mir aus könnte es auch früher sein.
Estland ist bei den ersten Beitrittskandidaten, Lettland hat von der EU-Kommission gute Chancen bescheinigt bekommen, bald aufzurücken. Warum hinkt Litauen hinterher?
Die drei baltischen Staaten können nur gemeinsam aufgenommen werden. Wir sind mit Dutzenden von Handels-, Zoll- und Freizügigkeitsverträgen so stark verflochten wie die Beneluxstaaten. Da kann man nicht ein Land herausgreifen.
Trotzdem hat die EU-Kommission Lettland einen vagen Termin für Verhandlungen in Aussicht gestellt, Litauen aber nicht.
In Wirklichkeit ist Lettland das Problem, Litauen ist mit den politischen Reformen viel weiter. Wir haben die Frage der Staatsbürgerschaft für die russische Minderheit gelöst, Lettland ist gerade dabei. Ich denke, die EU-Kommission wollte die lettische Regierung mit dem Versprechen auf einen möglichen rascheren Beitritt ermutigen, zügig weiterzumachen.
Die Europäische Union scheint ein größeres Problem darin zu sehen, alle drei baltischen Länder gleichzeitig aufzunehmen, weil sich dann Rußland brüskiert fühlen könnte.
Ich möchte unsere Nachbarn nicht zurücksetzen. Aber Litauen hat die stabilsten Beziehungen zu Rußland. Wir sind sicher, daß sich Rußland mit dem Gedanken versöhnt hat, daß alle drei baltischen Staaten EU-Mitglied werden.
Was haben Sie den Regierungschefs der EU gesagt, warum sie Ihr Land rasch aufnehmen sollten?
Bei dem Gespräch ging es vor allem um das politische Klima in der EU. Den Regierungen geht es offensichtlich darum, den Zeitplan für die Verhandlungen so auszubalancieren, daß es zu einem gemeinsamen Beitrittstermin kommt.
Das könnte man auch anders sehen. Madrid oder Athen sind von der Osterweiterung nicht begeistert. Wie haben Sie denen den Beitritt schmackhaft gemacht?
Ich habe ihnen gesagt, daß wir auch für die südlichen Länder der EU nützlich sein können. Wir sind schon heute günstige Handelspartner, weil wir doppelt soviel aus der EU importieren, als wir dorthin ausführen. Das meiste davon geht weiter nach Rußland.
Spanien und Griechenland fürchten aber vor allem die Kosten der Erweiterung.
Im Gegensatz zu den meisten Kandidaten haben wir nur wenig Landwirtschaft. Wir werden die Agrarfonds der EU nicht belasten.
Für die südlichen EU-Länder ist jedes neue Mitglied auch eine Gefahr für den Geldfluß aus Brüssel. Wie wollen Sie die überzeugen? Wir haben bei allen Gesprächen klar gemacht, daß Litauen im wesentlichen keinen Anspruch auf Strukturhilfen erhebt. Litauen entwickelt sich rasch, so daß wir keine Notwendigkeit für eine große finanzielle Unterstützung sehen.
Wenn Sie kein Geld brauchen, warum ist der EU-Beitritt dann für Litauen so wichtig?
Wir brauchen die politische Sicherheit, die damit verbunden ist, und ein günstigeres Klima für Auslandsinvestitionen. Derzeit haben wir vor allem Investoren aus Nordamerika. Es ist schwer, etwa Deutsche oder Österreicher davon zu überzeugen, daß sie kein politisches Risiko zu fürchten haben, wenn sie bei uns investieren.
Die EU als TÜV-Stempel für Reformen?
Wir wollen zur politischen Region Europa gehören. Das beinhaltet auch die Möglichkeiten des freien Handels, ohne daß wir den EU-Markt als besonders wichtig für unsere Exporte einschätzen.
Sie wollen die EU beruhigen. Stellen Sie gar keine Ansprüche?
Wir bitten, in die erste Kandidatengruppe aufgenommen zu werden. Ein konkreter Termin ist nicht so wichtig, aber wir brauchen ein eindeutiges politisches Signal. Wenn man uns länger hinhält, werden unsere Sicherheit beeinträchtigt und manche Nachbarn provoziert.
Wen provoziert das?
Zum Beispiel radikale Kräfte in Rußland, die bei einem Zögern der EU Chancen sehen, Druck auf Litauen auszuüben. Das fehlende Signal macht auch die innenpolitische Situation komplizierter, weil es das Mißtrauen gegen unsere Reformpolitik schürt.
Die EU-Kommission findet, daß die Reformen ohnehin etwas schleppend vor sich gehen.
Wir haben uns selbst die höchsten Anforderungen gestellt. Doch noch befriedigt uns das nicht. Deshalb haben wir dieses Jahr mit der Justiz- und Verwaltungsreform angefangen.
Nach Ansicht der EU-Kommission ist die litauische Wirtschaft noch nicht stark genug, um der westlichen Konkurrenz standzuhalten.
In letzter Zeit haben wir das nicht mehr gehört. Der Beitritt würde unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken, weil die Handelsbeschränkungen wegfallen.
Nur um den EU-Umweltgesetzen zu entsprechen, müßte Litauens Wirtschaft viel Geld ausgeben.
Nach dem, was uns die EU- Kommission sagt, stehen unsere Standards unserer Umweltgesetzgebung denen der EU nicht nach.
Was hilft es, wenn die Gesetze scharf sind, die Industrie sie aus Kostengründen aber nicht einhält?
Wir machen die Gesetze doch nicht für die EU, sondern für uns selbst. Wir haben in Klaipeda ein neues Klärwerk eröffnet, so daß dort die Ostsee nicht mehr verschmutzt wird. Wir verwenden den größten Teil der Auslandskredite für Umweltmaßnahmen.
Sie haben gesagt, daß Ihnen der EU-Beitritt wichtiger als der Nato-Beitritt ist. Warum?
Wir haben unsere Energie in diesem Jahr auf die EU konzentriert, weil da im Augenblick die Entscheidungen anstehen. Die Nato-Erweiterung ist komplizierter. Da hat auch Rußland größere Schwierigkeiten. Die Zeit spielt eine wichtige Rolle. Wir wollen in die EU und in die Nato. Interview: Alois Berger
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