Vorwärts und schnell vergessen

■ Die Kandidatin Daniela Dahn tritt in Potsdam auf. Und die SPD hofft, daß die Woche schnell vorbei ist

Potsdam (taz) – Der Termin ist vielversprechend. Im Potsdamer Landtag vor dem Fraktionssaal der SPD lauern über 15 Reporter, alleine drei Sender haben Kamerateams geschickt. Drinnen, in der nichtöffentlichen Fraktionssitzung, ist immerhin jene Frau zu Gast, die bekundet hat, der Stil der SPD erinnere sie „an Praktiken aus finstersten SED-Zeiten“. Der SPD-Sprecher Ingo Decker hatte ihr retour bescheinigt, nur „schwer erträglich“ zu sein: die Schriftstellerin Daniela Dahn, die mit ihrer Kandiditur als Verfassungsrichterin von Brandenburg heftigen Krach ausgelöst hat.

Würde sie die Sozialdemokraten abermals der Zensur bezichtigen? Oder würde ein spektakulärer Auftritt dafür sorgen, daß die in Dahns Befürworter und Gegner entzweite Fraktion zu einer einheitlichen Meinung kommt? Gespannt warten die Reporter. Einer liest noch schnell in Dahns Buch „Die Vertreibung ins Paradies“. Wie vor einer wichtigen Klassenarbeit. Und um sich gegen die Schelte zu wappnen, Zitate aus dem Kontext zu reißen – das ist in letzter Zeit Dahns liebster Vorwurf. Auf dem Kaffeetischchen liegt ein weiteres ihrer Bücher: „Westwärts und nicht vergessen – Vom Unbehagen in der Einheit“.

Als Daniela Dahn aus dem Fraktionssaal kommt, ist zuerst nichts von Zank zu spüren. Statt mit großen Gesten und kleinen Bosheiten tritt sie in professioneller Gelassenheit vor die Kameras, neben sich Fraktionschef Wolfgang Birthler. Ein Journalist streckt ihr ein langstieliges Mikrofon entgegen und nennt sie frech „Poststalinistin“. Dahn lächelt bloß spöttisch, geht nicht darauf ein. Sie sagt geduldig, sie könne „sehr wohl“ trennen zwischen einem Richteramt und ihrem Beruf als kritischer Autorin. Und sagt, daß sie das Gespräch mit den Abgeordneten genutzt habe, um einige ihr unterstellte Aussagen zu erläutern. „Zitate, von denen ich den Eindruck hatte, daß sie aus dem Zusammenhang gerissen sind.“ Birthler sagt, es sei ein „faires, offenes Gespräch“ gewesen. Am Schluß hätten alle Abgeordneten auf ihre Pulte geklopft. „Wir hatten alle Tanzstunde.“ Als hätte sich die SPD nie um Dahn und mit Dahn gestritten.

Sitzungsteilnehmer bestätigen zwar, daß nicht die Fetzen flogen. Aber daß die Gelassenheit künstlich war, verrät der Umstand, daß Dahn gebeten hat, die Diskussion auf Tonband aufzunehmen. Wegen der schlechten Erfahrungen mit den Zitaten, sagt sie. Sie steht ganz ruhig da, hat die Hände gefaltet – nur ihre beiden Daumen tippen immer wieder gegeneinander.

Birthler möchte nichts darüber sagen, ob es einen Meinungsumschwung bei Dahns Gegnern oder Befürwortern in der Fraktion gegeben hat. Wenn sich jetzt jeder äußere, hätte Dahn ja gar nicht gehört werden müssen, und niemand müßte jetzt mehr nachdenken. Die Abstimmung am morgigen Donnerstag sei freigegeben. Der Fraktionsschef hat wohl eingesehen, daß seine Fraktion aus dem Dilemma nicht herauskommt. Wenn sie Dahn ablehnt, wird die PDS sie bezichtigen, die „Stimme des Ostens“ verhindert zu haben. Ändert die Fraktionsmehrheit ihre Haltung und stimmt für Dahn, wird sie die CDU als Umfaller ausschimpfen. Da kann der Vorsitzende sich nur mühen, die gegensätzlichen Meinungen in seiner Fraktion zu kaschieren.

Auch Ministerpräsident Manfred Stolpe, der im Gegensatz zu den meisten Abgeordneten Dahn verteidigt hatte, vernebelt seine Position: Sein Eindruck von Dahn sei „ungebrochen positiv“, sagt er, schiebt aber nach: „Als Schriftstellerin.“ Birthler gibt zu, daß er froh sein wird, wenn diese Woche vorbei ist. Dahn lacht und nickt dazu. Anders als die SPD denkt sie nicht ans Vergessen. Sie spielt mit dem Gedanken, ein Buch über ihre Zeit als Gerichtskandidatin zu verfassen: „Protokoll einer Ausgrenzung“. Georg Löwisch