Theorien übers Totmachen

Klaus Theweleit und Michael Farin bei den Filmgesprächen  ■ Von Tobias Nagl

Irgendwann war Schluß mit dem Zeitalter des Wassermanns. Im Kino spätestens 1974. Damals wurde Tobe Hoopers Texas Chainsaw Massacre uraufgeführt, der bis heute zu den meistzitierten, aber am wenigsten gesehenen Filmen gehört. Dessen im Bus und mit einem astrologischen Lehrbuch als Reiseunterhaltung durch das provinzielle Hinterland ziehende Hippie-Protagonisten ahnen schon zu Beginn, daß ihnen mit dem Aufstieg des Saturns nicht Gutes bevorsteht – ein Blutgericht in Texas nämlich, wie Hoopers vielfach indizierter, aber längst in die Sammlung des Museum of Modern Art aufgenommener Low-Budget-Splatter-Klassiker in den deutschen Kinos hieß. Im tiefsten Texas hält man eben besser nicht an, man weiß das ja eigentlich. Dein Bruder kann in solchen Regionen dein Vater sein, und wie der debile Tramper gezeugt wurde, den die Hippies mitnehmen, will man schon gar nicht wissen.

Was man hier zu sehen bekommt, ist weder spannend noch feinsinnig, sondern verzichtet auf jede Art der Ästhetisierung, Erklärung oder Psychologie. Brutal, billig und mit fast dokumentarischer Intensität wird das Reisegrüppchen von einer frauenlosen Kannibalen-Familie ausgeweidet. Oben in ihrem mit Knochenresten und Leichenteilen ausstaffierten Haus liegen vertrocknet Oma und Opa, und die Kettensäge schwingt Leatherface, dessen grauslige Gesichtsmaske aus Menschenhaut zusammengenäht ist.

Wenn der Horrorfilm oft ein Ort gewesen ist, an dem Normalität in ihrer Perversion durchdacht werden konnte, dann ist das in Texas Chainsaw Massacre die der Familie. Eine antiödipale Lebensformen exerzierende Hippiekommune gerät darin in die Fänge einer monströsen Familie, deren väterliches Gesetz auf jede symbolische Vermittlung verzichtet und als nackter Kastrationsschrecken auftritt: The saw is the law. Erzählten ältere Horrorfilme von den sexualisierten Monstern, die dem Schlaf der Vernunft entsteigen, verkehrt sich in den 70ern die Repression selbst zum ultimativen Horror.

Tobe Hoopers Geschichte von Leatherface ist aber nur die Version einer viel älteren Geschichte, bei der Fakten und Mythos längst so fragmentiert zusammengestückelt werden wie die Gesichtspartikel seiner Maske. Mit derselben Serialität, mit der ihr Protagonist zu Werke geht, findet auch diese Geschichte immer neue Adaptionsformen für die Artikulation unterschiedlichster Arten von Subjektivität. Es ist dies die Geschichte Ed Geins, des vielleicht berühmtesten Serienmörders Amerikas, dessen Echo von Hitchcocks Psycho bis zu Jonathan Demmes Das Schweigen der Lämmer reicht.

„Warum mußte man in Eds Haus ständig heizen?“ fragt Jörg Buttgereit in einem Witz. „Damit die Möbel keine Gänsehaut bekamen.“ Ein ganz unauffälliger Typ sei er gewesen, wußten die Nachbarn aus dem ländlichen Plainfield/Wisconsin zu berichten, als die Polizei 1957 in Geins zum vaterlosen Kokon verwandeltes Haus eindrang und die Nachbarin Bernice Worden von der Decke baumelnd in der Küche vorfand. Ihr Herz lag in einer Pfanne auf dem Herd. Im zugemüllten Haus stießen die Beamten ferner auf neun Gesichtsmasken, benutzte Schädeldeckenteller, mit Menschenhaut bespannte Möbel, einen Karton mit in Salz eingelegten Vaginas und Hautwesten mit Brüsten. Das Zimmer der geliebten Mutter im Obergeschoß war seit ihrem Tod zwölf Jahre zuvor unberührt. Daß Gein eigentlich eine Frau sein wollte, interessierte damals keinen, auch Hitchcock nicht, für dessen Norman Bates der Fall Gein zum ersten Mal Pate stand.

Der Autor und Publizist Michael Farin ist so etwas wie ein Experte auf dem Gebiet der Serienmörder – nicht erst, seit er am Drehbuch von Der Totmacher mitgeschrieben hat. Im Rahmen der Hamburger Filmgespräche geht der Herausgeber einer Ed-Gein-Anthologie dem Fall und seiner filmischen Wirkungsgeschichte nach. Im Anschluß ist The Texas Chainsaw Massacre zum ersten Mal nach 20 Jahren wieder in einem Hamburger Kino zu sehen. Einen Tag später präsentiert der Wiederholungstäter Klaus Theweleit seine vielschichtige Analyse von Das Schweigen der Lämmer als Film über die Metarmorphosen undifferenzierter Sexualität und der Bedeutung von Serialität in Henry – Portrait Of A Serial Killer. Wie der Fall Gein ist die zwar ebenfalls schon einige Jahre alt und mehrfach publiziert, wird dadurch aber nicht weniger spannend. Ob sich Jonathan Demmes Film ähnlich gehalten hat, kann vor dem Vortrag überprüft werden.

Michael Farin: Do, 17. Dezember, 21 Uhr, Metropolis (im Anschluß „The Texas Chainsaw Massacre“). Klaus Theweleit: Fr, 18. Dezember, 20.30, Filmhaus, Friedensallee 7 (vorher – 18.30 Uhr – „Das Schweigen der Lämmer“)