Wenn niemand mehr zuschaut

Nur bei Grün gehen sie über die Ampel, aber dafür schicken sie die Polizisten neue Fackeln holen: Hamburger SchülerInnen auf ihrer Dauer-Demonstration begleitete eine Nacht lang  ■ Judith Weber

Nachts um eins, wenn niemand mehr zuschaut, laufen die SchülerInnen für die Autofahrer. „Der da guckt bestimmt“, hofft eine Elft-kläßlerin, doch da braust der Wagen auch schon vorbei. Scheinwerfer streifen müde Gesichter und gegen Kälte dick verpackte Hände, gut fünfzig Paar. Wäre da nicht das große Plakat, die Fahrerin würde glauben, die Jugendlichen hätten den letzten Bus verpaßt.

„Schule in Not – 168 Stunden gegen Bildungsabbau“ steht auf dem Laken. Und weil zu sieben Tagen Protest auch sieben Nächte gehören, haben sich Dennis Herms und vier Mitschüler vom Margaretha-Rothe-Gymnasium gleich für die Spätschicht ab Mitternacht eintragen lassen. Kurz zwei Stunden demonstrieren, dann geht's weiter, „auf den Kiez oder so“. Es wird ja noch früh sein, etwa zwei Uhr, wenn die fünf fertig sind mit ihrer Runde von der Demo-Zentrale am Dammtor bis zur Schulbehörde und zurück. „Eigentlich wollten wir sogar noch später mitmarschieren“, sagt Herms. Aber die Schicht ab null Uhr schien schlechter besetzt zu sein, und so sind die Oberstufenschüler eher unterwegs, zusammen mit etwa 45 anderen.

Die Route führt sie an der nachtschwarzen Alster entlang, die kein Jogger mehr umrundet und die zwei Elftkläßlerinnen „superromantisch“ finden. Dann weiter über die Mundsburger Brücke, wo einige TeilnehmerInnen zur Tankstelle abbiegen, um Red Bull, Salzstangen, Süßes oder Bifi-Salami zu kaufen. Zur Schulbehörde an der Hamburger Straße will die Gruppe und durch die Innenstadt am Gänsemarkt vorbei zurück.

Zwischendurch heiß es immer wieder: anhalten. Artig bleiben die DemonstrantInnen vor jeder roten Ampel stehen, egal ob um drei oder um sechs Uhr morgens und auch, wenn weit und breit kein Auto in Sicht ist. „Die Lichtzeichenanlagen sind nur bei Grün zu überschreiten“, betet Mitorganisator Sebastian Ferse lachend herunter, was die Polizei den DemonstrantInnen eindringlich erklärt hat. Klar, daß nachher, auf dem Weg zum Kiez oder nach Hause, andere Regeln gelten. Aber keine Scherereien jetzt. Schließlich sind zwei BeamtInnen stets in der Nähe. Geduldig sitzen sie in ihrem Wagen, der mal an dieser, mal an jener Ecke wartet.

Wie praktisch das ist, zeigt sich gegen zwei Uhr. Da gehen den DemonstrantInnen die Fackeln aus. Nun hilft nur eines: „Die Polizei mobilisieren“, sagt Sebastian Ferse. Geht zu ihnen rüber und fragt, ob die beiden wohl kurz... Sie tun's. Fahren zur Demo-Zentrale, lassen sich dort Fackeln geben und kurven zu den DemonstrantInnen zurück. Mit Beleuchtung zieht die Gruppe über den Weihnachtsmarkt in der Mönckebergstraße, der so verlassen daliegt wie am 27. Dezember.

Daß die Protestierenden nachts kaum beachtet werden, macht nichts, findet Andreas Gloel vom Gymnasium Alstertal. Es gelte nicht, rund um die Uhr Aufmerksamkeit zu erregen, sondern Beharrlichkeit zu zeigen. „Irgendwann werden die meisten Leute wissen, daß wir hier demonstrieren.“

Tatsächlich hat die Aktion sich schon nach kurzer Zeit herumgesprochen. „Sind das diese Schüler?“, fragt eine Hundebesitzerin, die ihren Collie noch spät Gassi führt, ihren Mann. Taxen, die schon mehrmals an Demo-Gruppen vorbeigefahren sind, drücken zur Begrüßung kurz auf die Hupe. Auch alle anderen HamburgerInnen haben etwas davon, erklärt Gloel: „Es ist einfach ein großartiges Gefühl, in der Nacht aufs Klo zu gehen und zu wissen: Genau jetzt sind wieder welche unterwegs.“

Damit SPD-Schulsenatorin Rosemarie Raab das aus erster Hand erfährt, soll jede Demo-Gruppe eine Nachricht hinterlassen auf dem Anrufbeantworter ihrer Pressestelle. Bestimmt zehnmal läßt es Sebastian Ferse klingeln. Ein zweiter Anruf, ein dritter. Nichts. „Das hat Symbolcharakter“, schimpft er, „keine Reaktion aus der Behörde.“ Außerdem hat der Dauer-Versuch die matten Handy-Batterien geleert; der Kontakt zur Zentrale ist unterbrochen.

Das Warten nervt die anderen. Die ZwölftkläßlerInnen, die spontan nach einem Theaterbesuch zur Demo kamen, haben das Stück hinreichend diskutiert. Ein Dreier-Grüppchen ist über die Hamburger Straße gelaufen und vergnügt sich mit einem Schaufensterbummel vor dem Einkaufszentrum. „Ich muß mal“, nörgelt eine Gymnasiastin, und einem anderen tut die Hand weh, weil Wachs von den Fackeln draufgetropft ist. „Geht Ihr morgen zu den ersten beiden Stunden?“, lautet die drängendste Frage, doch meist lautet die Antwort „ja, logisch“. Schließlich sollen für die Demonstration möglichst keine Stunden ausfallen, auf eine Bitte der SchülerInnenkammer hin.

In der Nähe des Rathausmarktes haben die meisten schließlich genug. Sie biegen ab, dorthin, wo die Nachtbusse fahren. Bannmeile hin oder her: „Wir wollen nicht mehr“, ruft eine Schülerin. Also wird die Gruppe geteilt, in DemonstrantInnen und solche, die es mal waren. Nur zwei VertreterInnen der SchülerInnekammer, drei andere Jugendliche und die fünf Jungen vom Margaretha-Rothe-Gymnasium gehen mit dem Plakat zurück zur Moorweide.

Macht nichts, finden sie. Denn am Bauwagen der SchülerInnen-Kammer wartet schon die nächste Gruppe – gutgelaunt und motiviert, ihrem Unmut über die Sparpläne an Hamburgs Schulen mit einem Neun-Kilometer-Marsch Luft zu machen.