Folter. Für die Mutter.

Vater wegen Kindesentzuges zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Wo er den Sohn versteckt hält, sagt er trotzdem nicht  ■ Von Elke Spanner

Würde man zufällig in den Saal 309 des Hamburger Landgerichtes platzen, man könnte Fatima Z. (Name geändert, d. Red.) für die Angeklagte halten. Weinend sitzt sie im ZeugInnenstand. Zum x-ten Mal muß sie Auskunft darüber geben, ob sie ihren Ehemann betrog. Ob sie sich zum Beweis des Gegenteils an einen Lügendetektor anschließen lassen würde. Und ob sie sich von einem Bekannten hat schlagen lassen, um die Wunden ihrem Ehemann anzuhängen, will dessen Verteidiger Udo Jacob wissen.

Die Glaubwürdigkeit von Frauen anzuzweifeln, die einen Mann vor Gericht gebracht haben, ist eine Verteidigungsstrategie, die vor allem aus Vergewaltigungsprozessen wohlbekannt ist. Hier geht es um Kindesentführung, um einen Fall, in dem nachprüfbare Fakten sprechen. Doch obwohl erwiesen ist, daß der Angeklagte Ashraf M. am 7. März mit dem damals 16monatigen Sohn Ahab Richtung Beirut flog und das Kind seither verschwunden ist, versucht Ashraf M., der Mutter Fatima Z. die Verantwortung dafür zuzuschieben. Gestern bereitete das Hamburger Landgericht dem ein Ende: Es verurteilte den Angeklagten wegen Kindesentzuges zu drei Jahren und vier Monaten Gefängnis.

„Auch wenn ich lange in Haft bleibe, klärt das die Sache nicht auf“, hatte Ashraf M. am Montag noch gesagt. Der Vorsitzende Richter gab den Gedanken gestern als Warnung zurück: Sollte das Kind nicht wieder auftauchen, werde M. keinesfalls auch nur einen Tag früher aus der Haft entlassen werden. Denn er allein wisse, wo Ahab sei, und er alleine habe es in der Hand, ihn zurückzuholen und seiner Mutter zu übergeben.

Auf die Hilfe von Behörden, entmutigte das Gericht Fatima Z., könne sie kaum hoffen: Wahrscheinlich lebe Ahab in Damaskus bei den Eltern oder Freunden von M. Zwischen Syrien und Deutschland gäbe es jedoch kein Amtshilfeabkommen.

Für Fatima Z. ist die Entführung die Reaktion darauf, daß sie vergangenen Dezember mit ihrem Sohn vor dem gewalttätigen Ehemann ins Frauenhaus floh. Für ihre muslimischen Bekannten wurde sie deshalb „die Schlampe“. Wenn sie um Hilfe bei der Suche bat, habe sie sich immer wieder sagen lassen müssen, daß sie nicht allein in Hamburg leben dürfe; sie solle gefälligst zu ihrem Mann zurückkehren.

Ihre Strafe dauert an. Die Kindesentziehung ist kein Delikt, das einmal begangen wird und damit beendet ist. Seit März hat Fatima nichts von ihrem Sohn gehört, sie weiß nicht, bei wem er lebt und wie es ihm geht. Entsprechend tief sitzt ihre Verzweiflung. An jedem Prozeßtag schüttet Ashraf weiteres Salz in ihre Wunden. Sein Rechtsanwalt Jacob trägt diese Strategie bereitwillig mit.

Auf die Frage, ob er den Geschichten seines Mandanten glaube, sagte Jacob gegenüber der taz, das spiele keine Rolle. Ein Rechtsanwalt müsse sich nur „auf dessen Argumentation einlassen“. So läßt Jacob Zeugen vorladen, die beweisen sollen, daß Fatima sich von einem Bekannten extra schlagen ließ. Er beantragt, beide Eheleute mit einem Lügendetektor zu vernehmen. Und schließlich, zwei Tage vor Verhandlungsschluß, übermittelt er dem Gericht die Neuigkeit, Ahab sei gar nicht Ashrafs Sohn. Legt wenige Stunden vor Urteilsverkündung ein Fax vor, in dem ein Verwandter von M. behauptet, mit Fatima ein Verhältnis gehabt und Ahab gezeugt zu haben. Sie muß daraufhin erneut in den ZeugInnenstand, um sich zu den Behauptungen zu äußern. Ashraf funkelt sie dabei spöttisch an.

Der Prozeß ist emotional aufgeheizt. Der Angeklagte ruft permanent aufgebracht dazwischen, sein Bruder lästert auf der ZuschauerInnenbank demonstrativ laut über Fatima Z. Im Publikum fließen unaufhörlich Tränen, von irgendwoher ist zu vernehmen: „Für den müßte man die Folter wieder einführen, damit er endlich sagt, wo das Kind ist.“ Und der Vorsitzende Richter schließt seine Urteilsbegründung mit den Worten: „Ich bin seit 25 Jahren Richter. So ein Fall ist mir in dieser Kaltschnäuzigkeit noch nicht vorgekommen.“