■ Normalzeit
: In Wahrheit schlechte Menschen

Neulich berichtete ich von der Oberschöneweider Empörung über einen B.Z.-Artikel. So ging es weiter damit: Nachdem die B.Z. sich geweigert hatte, Leserbriefe zu ihrem „Mein Kiez“-Artikel von Karsten Otte abzudrucken, weil sie angeblich „zu aggressiv“ waren, wurde in der ehemaligen AEG- Transformatorenfabrik eine Protestveranstaltung organisiert. Das Schändliche des Otte-Artikels wurde dort vor allem unter dem Aspekt des Vergraulens von Investoren im Problembezirk gesehen. Ein Unternehmer witterte gar „politische Absicht“. Ein Lehrer bezeichnete den Artikel als „faschistisch“, was jedoch vom anwesenden B.Z.-Lokalchef – ein bis zur Ausdruckslosigkeit glatter Elitelutscher – abgestreift wurde.

Vier Tage später fand in der Nachbarschaftsetage der Weddinger Projekte-Fabrik Osloer Straße ebenfalls eine Protestveranstaltung statt. Hier ging es um eine „Spiegel-TV“-Reportage und einen Spiegel-Artikel über den Wedding. Der Autor beider Beiträge, Thomas Heise, war ebenfalls anwesend. In immer neuen Anläufen versuchten Lehrer, Streetworker, Arbeitslose und Leute, die im Film mitgespielt hatten, zu beweisen, daß sein Machwerk exakt der faschistischen Verunglimpfung der Juden nachfolge: Wanderratten – Schnitt – Zigeuner – Schnitt – Kakerlaken – Schnitt – junge Türken – Schnitt – Müll – Schnitt – Polizeirazzia – Schnitt – Pistole – Schnitt usw. Er wollte damit bloß eine Studie von Professor Häußermann über die drohende „Verslumung“ ganzer Stadtteile illustrieren, verteidigte sich der „linke“ Autor. Eher hatte er jedoch die schändliche „Ratten“-Äußerung des Berliner CDU-Vordenkers Landowsky bebildert. Einer der mitwirkenden Jugendlichen, Ibo, erzählte: „Drei Tage hat er bei uns gedreht, und dann nur das Schlechteste genommen, uns sogar noch betrogen, indem er sagte, die Kamera sei aus, in Wirklichkeit filmte er aber weiter. Dabei gab es auch Positives. Zum Beispiel all die Mädchen aus Steglitz, die sagten, hier im Wedding sei es besser als bei ihnen, auch die Jungs wären besser.“ Der Streetworker aus dem Boxclub Astoria entschuldigte sich bei den Anwesenden, weil er derart naiv auf Heise hereingefallen war. Nicht nur dem Autor, sondern auch den anwesenden Behördenvertretern erklärte sodann eine „Mutter“: „Systematisch werden im Wedding die alternativen Einrichtungen zerstört – von den Politikern, und dafür bekommt man nun gesagt: Die Ausländer sind schuld an eurer Misere. So läuft hier das Spiel.“

„Daß die Zahl der Ratten zugenommen hat, dafür kann ich doch nichts, ich habe nur gefilmt, was ist“, wiederholte Thomas Heise. Ein Fernsehmann aus dem Osten, inzwischen Bambi-Preisträger, sprang ihm zur Seite: „Wenn hinterher alle gemeckert haben, war ich zufrieden mit meiner Arbeit!“ Ein Assistent von Professor Häußermann äußerte sich über den Spiegel-Artikel von Heise: „Ich war früher Lokaljournalist, für solch einen Text hätten sie mich damals rausgeworfen!“ Das waren noch Zeiten! Dann kam aber die Wende, die FAZ-Statthalterin bei der Neuen Zeit meinte sogleich: „Das ist auch ein Problem Berlins: Zu viele Journalisten schauen auf – nichts!“ Helmut Höge