Hauptstadt des Geistes – auf niedrigem Niveau

■ Die Berliner Wissenschaft beeindruckt durch Fülle, doch ihr fehlt das politische Konzept

Drei Universitäten, 14 weitere Hochschulen, 70 außeruniversitäre Forschungseinrichtungen – solche Zahlen sind es, an denen sich Berlins Politiker berauschen. Je nach Perspektive reden sie dann selig von der „Wissenschaftsmetropole“, von der „Hauptstadt des Geistes“ oder vom „Innovationspotential“.

Ein Blick in die jüngste Berlin- Studie müßte sie ernüchtern. „Berlin bleibt als Wissenschaftsstadt hinter seinen Möglichkeiten zurück“, so die Bilanz der Autoren. Schließlich landeten die Hochschulen auf den „Ranking“-Listen „durchweg auf mittleren, teilweise noch schlechteren Plätzen“. Bei „objektiven“ Kriterien wie der Zahl von Veröffentlichungen, Sonderforschungsbereichen oder Drittmitteln schnitten sie wegen ihrer schieren Größe zwar recht gut ab. Beziehe man diese Bilanz aber auf die Zahl der Wissenschaftler, falle Berlin „in der Bewertung fast immer ab“. Selbst die Vielfalt an Instituten finden die Berlin-Forscher für eine Metropole dieser Größenordnung nicht sonderlich beeindruckend. Beispielsweise bildeten die vier staatlichen Fachhochschulen Berlins zusammen nicht mehr Studenten aus als eine einzige in München.

Eine Berliner Spezialität sehen die Autoren dagegen im Erstellen „hochkomplizierter Rechenwerke“ – eine deutliche Kritik am Fetisch der 85.000 Studienplätze, um den die Berliner Hochschulpolitik derzeit kreist. Damit werde die Formel der Studienplatzberechnung, einst „zur Bewirtschaftung eines Mangels“ eingeführt, „zur Planungsmaxime für den Normalfall“ verkehrt.

Von der Politik des Universitäts-„Rückbaus“ um rund ein Drittel abgesehen, können die Autoren eine „inhaltlich konsistente Wissenschaftspolitik“ in Berlin „nicht wahrnehmen“. Einige der sogenannten „Reformen“ führen nach ihrer Ansicht sogar in die falsche Richtung: So dürften sich die Hochschulen ihre Gremienstrukturen jetzt selbst „backen“, obwohl Sachverständige schon vor Jahren einen Gesamtberliner Universitätsrat gefordert hatten.

Immerhin garantierten die Verträge, die der Senat im Frühjahr 1997 mit den Hochschulen abschloß, „eine gewisse Planungssicherheit auf niedrigem Niveau“. Ob der Abbau „zur Bündelung von Kapazitäten“ oder bloß zu „weitgehender Lähmung“ führe, sei „noch offen“.

Mangelnde Zusammenarbeit ist der Studie zufolge auch der Hauptgrund, warum auswärtige Wissenschaftler trotz guter Noten für einzelne Bereiche die hauptstädtische Wissenschaftslandschaft insgesamt schlecht bewerten: „Es fehlt im Gesamtsystem am Antrieb und an der Fähigkeit, Potentiale zu bündeln und strategisch zu kooperieren.“ Die Industrieforschung, die andernorts an solchen Netzen strickt, sei hier praktisch nicht vorhanden. Der Versuch, dieses Potential durch „Innovations- und Gründerzentren“ zu ersetzen, sei „unbefriedigend geblieben“.

Die Forschungsinstitute außerhalb der Hochschulen kommen in der Studie eher noch schlechter weg als die Hochschulen selbst. Ihnen sei ihre Krise noch nicht einmal bewußt, heißt es. Schließlich seien sie von den Haushaltskürzungen kaum betroffen, einige von ihnen erhielten sogar zusätzliches Geld – weil jede Mark aus dem Landeshaushalt im Schnitt fast drei Mark aus anderen Fördertöpfen nach sich zieht.

Drei Institutionen besitzen nach Ansicht der Autoren das Potential, die nötige Kooperation einzufädeln, zwei nutzten es jedoch nicht aus: Dem Wissenschaftszentrum fehle der „institutionelle Wille zur Bündelung des Berliner Forschungspotentials“ und „strukturierende Effekte“ der Akademie der Wissenschaften seien „nicht mit Sicherheit zu erkennen“. Allein das Wissenschaftskolleg habe „in einer unauffälligen, nicht aufdringlichen Weise dazu beigetragen, daß Defizite in der Wissenschaftslandschaft aufgedeckt und neue Arbeitsansätze entwickelt werden konnten“. Denn die eigentlich entscheidenden Prozesse in der Wissenschaft seien „nicht zu ,administrieren‘ und schon gar nicht zu ,oktroyieren‘“. Die nötigen „Kommunikationsprozesse“ benötigten „in der Regel viel Zeit“. Ralph Bollmann