Streit in der „Familie der Revolution“

■ Während im Iran ein Regimekritiker nach dem anderen ermordet wird, schmieden die Machthaber insgeheim Bündnisse

Berlin (taz) – „Als Chatami an die Macht kam, habe ich mir gesagt, die gegenwärtigen Zustände stünden vor dem Aus. Aber ich sehe, daß es mit der Zivilgesellschaft und den Menschenrechten bergab geht. Folter ist an der Tagesordnung, Hände werden gebrochen, Zeitungen zerfetzt und freiheitssuchende Menschen vernichtet.“ Diese Zeilen schrieb der iranische Reformdenker Abdol Karim Sorusch kürzlich an Irans Präsidenten Mohammad Chatami. Inzwischen hat sich die Lage noch verschlimmert. Innerhalb eines Monats wurden die Leichen von fünf Regimekritikern gefunden.

Die iranische Führung schiebt die Verantwortung auf fremde Mächte: „Das Netzwerk der Mörder befindet sich im Ausland“, erklärt ein Sprecher der Justizbehörde und räumt im gleichen Atemzug ein, mehrere Verdächtige seien festgenommen worden – im Inland. Schuld an den Morden seien „die Zionisten“, erklärt der Sekretär des einflußreichen Feststellungsrates. Deren Ziel sei es, „die Gesellschaft zu spalten“. Diese Argumentation soll Vermutungen entgegentreten, Teile der iranischen Führung hätten die Morde in Auftrag gegeben.

Eben dies behauptet Irans erster Staatspräsident nach der Revolution, Abol Hassan Bani Sadr. Hinter den Morden stecke eine Allianz aus Irans religiösem Führer Ali Chamenei und dem ehemaligen Präsidenten Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, will er in seinem Pariser Exil erfahren haben. Bei einer Versammlung in der den Schiiten heiligen Stadt Qom hätten diese Kräfte beschlossen, Bestrebungen nach Demokratisierung zu ersticken. Ziel der Morde sei auch Präsident Chatami. Ihm solle klargemacht werden, „daß seine Entmachtung beschleunigt wird, wenn er sich nicht den Anordnungen der Allianz Chamenei/ Rafsandschani unterordnet“.

Bani Sadr mag nicht sagen, wann das Treffen in Qom stattfand und wer teilnahm. Es wäre nicht die erste Anti-Dissidenten-Initiative aus der Theokratenhochburg. Im Sommer hatte dort der Chef der Revolutionswächter, General Rehim Safawie, gedroht, Regimekritikern „den Kopf abzuhacken und die Zunge herauszuschneiden“.

Chamenei, Chatami und Rafsandschani gehören zu rivalisierenden Flügeln der „Familie der Revolution“, wie die Zeitung Iran Daily den Teheraner Führungszirkel nennt. Chamenei gilt als Kopf der Konservativen, die eine politische und wirtschaftliche Öffnung strikt ablehnen. Rafsandschani ist Vordenker der sogenannten Technokraten. Sie stehen für wirtschaftliche, nicht aber für politische Öffnung. Ihre Machtbasis haben sie unter den mächtigen Händlern, den Basaris. Chatami gilt als Linksislamist. Seine Anhänger fordern soziale Gerechtigkeit auf islamischer Grundlage. Während der Revolution rekrutierten sich aus ihrem Lager die Besetzer der US- Botschaft in Teheran. Einge haben sich zu Realpolitikern gewandelt und vertreten die Ansicht, daß Irans Theokratie reformbedürftig ist. Ihr größtes Manko ist mangelnde wirtschaftliche Kompetenz.

Unter dem bis zum Sommer 1996 regierenden Rafsandschani gingen Konservative und Technokraten ein Bündnis ein. Weil sich die Technokraten jedoch nicht gegen die Theokraten durchsetzen konnten, wechselten sie auf die Seite der Linksislamisten. Irans Bürgermeister Gholam Hossein Karbastschi, ein enger Vertrauter Rafsandschanis, organisierte Chatamis Wahlkampf.

Doch seit einem halben Jahr gehen die Technokraten auf Distanz zu Chatami. Als im Oktober die Wahl zum Expertenrat anstand – eine traditionelle Machtbasis der Konservativen – lobte Karbastschi das Gremium in den höchsten Tönen. Und auch Rafsandschani preist derzeit lieber den Religiösen Führer Chamenei als den Präsidenten Chatami. Rafsandschani und den Seinen ginge es nur um den Erhalt der Macht, heißt es in Teheran. Der ist unter Chatami gefährdet. Die vom Präsidenten angestoßene Liberalisierung wird zum Selbstläufer. An den Universitäten demonstrieren Studenten gegen Verhältnisse und Herrscher im Land. Sollte diese Entwicklung nicht gestoppt werden, könnte sie das ganze System hinwegfegen. Ein Wechsel Rafsandschanis zu den Konservativen ist also opportun. Daß dabei einige Regimekritiker eines unnatürlichen Todes sterben, dürfte ihm egal sein.

„Die Zeit liebenswürdiger Worte ist vorbei“, schrieb der Reformer Sorusch an Chatami. „Die Leute haben Sie nicht als Beobachter gewählt, sondern als Kämpfer.“ Doch der Kampf könnte bereits verloren sein. Thomas Dreger