Wo bitte geht's zum Ausstieg? Schröder vertagt Atomgesetz

■ Trittins Atomnovelle darf nicht ins Kabinett. Im Januar soll der Koalitionsausschuß den Streit mit Wirtschaftsminister Werner Müller, dem Intimus des Kanzlers, schlichten

Bonn/Salzgitter (taz) – Der erste große Streit in der Sache ist da: Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Umweltminister Jürgen Trittin (Bündnisgrüne) geben das Atomgesetz nicht mehr wie von den Grünen geplant vor Weihnachten ins Bundeskabinett. Dabei war die Rohfassung aus dem Umweltministerium fertig. Doch es muß nachverhandelt werden. Weil unklar ist, wie die Formulierungen im Koalitionsvertrag in Gesetzesform gegossen werden sollen, wird das rot-grüne Krisengremium, der Koalitionsausschuß, das Thema am 13. Januar behandeln.

Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye sagte gestern, der Bundeskanzler wünsche, daß sich Umweltministerium (BMU) und Wirtschaftsministerium „fußend auf der intensiven Vorarbeit“ des BMU auf Eckwerte zur geplanten Atomnovelle einigten, „so daß wir bis zum 13. Januar klar Schiff haben“.

Die Gesetzesformeln aus dem Umweltministerium spielten sowohl Heye als auch das Wirtschaftsministerium herunter. Grundlage der Diskussion im Kabinett sei lediglich „ein Referentenentwurf im Umlauf“ gewesen und außerdem die Presseberichterstattung der letzten Tage. Nicht nur Wirtschaftsminister Müller (parteilos) sei skeptisch beim Verbot der Wiederaufarbeitung, „auch der Kanzler hat ja, wie Ihnen nicht entgangen ist, eine gewisse Zurückhaltung an den Tag gelegt“. Im Koalitionsvertrag ist das Gebot der „direkten Endlagerung“ für Atommüll festgehalten. Für Trittin heißt das, der Umweg über die Aufarbeitungsfabriken in Frankreich und England wird schnellstens abgeschafft. Die SPD hat anscheinend eine andere Auslegung dieses und anderer Begriffe. Heye verwies auch auf den Beschluß des deutsch-französischen Gipfels, demzufolge eine Arbeitsgruppe zu den Folgen eines De-facto-Verbots der Wiederaufarbeitung eingesetzt werden soll. Die AG sei bisher nicht zusammengetreten. Der „Respekt vor dem Partner Frankreich gebiete“ selbstverständlich, daß „man solche Vereinbarungen ernst nimmt“.

Trittin zeigte sich gestern in Salzgitter nicht völlig unzufrieden mit dem Verweis der Novelle in den Koalitionsausschuß: „Ich bin von niemandem zurückgepfiffen worden.“ Er und Schröder hätten das Verfahren gestern so abgesprochen. Den Gesetzentwurf habe sein Haus praktisch fertig, und dieser entspreche Punkt für Punkt der Koalitionsvereinbarung. „Das neue Atomgesetz wird in den ersten 100 Regierungstagen eingebracht“, so Trittin. Laut dem Umweltminister muß darin auf jeden Fall ein gesetzliches Verbot der Wiederaufarbeitung enthalten sein. „Nur dann ist ein Ausstieg ohne Entschädigung möglich“, sagte er gestern. Sonst sei die Ausstiegsklausel der „höheren Gewalt“ in den Verträgen zwischen AKW-Betreibern und den ausländischen Wiederaufarbeitungsanlagen nicht erfüllt. Trittin sah sich gestern etwa 600 protestierenden Atomarbeitern gegenüber, die den Erhalt der Endlagerprojekte Gorleben und Schacht Konrad in Salzgitter verlangten.

Für den bündnisgrünen Abgeordneten Christian Ströbele zeigte sich gestern, wie sehr in der Frage des Atomausstiegs „die Linien der beiden Parteien quer gehen“. Grundsätzlich werde der Ausstieg aus der Atomenergie von beiden Parteien gewollt, in der Frage der Geschwindigkeit des Ausstiegs gebe es allerdings deutliche Unterschiede.

Michael Müller, stellvertretender Fraktionschef der SPD und für Umweltpolitik zuständig, sprach gestern von „einer politischen Chance, daß man sich jetzt vernünftig verständigt. Dann kommt man aus dem Klein-klein heraus.“ Einen Affront gegenüber dem Koalitionspartner sah Müller nicht. Zur Überweisung der Atomgesetznovelle in die rot-grüne Regierungsrunde am 13. Januar erklärte Müller: „Ich glaube, daß das unter den gegenwärtigen Bedingungen sogar die beste Lösung ist.“ bg/ü.o/wg