Keine Panik, keine Angst in Jerusalem

■ Weder Bevölkerung noch Politiker in Israel glauben an neue Angriffe von seiten des Irak

Die Aufregung in Israel über den britisch-US-amerikanischen Militärschlag gegen den Irak hielt sich gestern in Grenzen. Zwar wurde die sogenannte Heimatfront aktiviert. Die Einwohner wurden aufgefordert, gegebenenfalls ihre Gasmasken zu erneuern, Plastikbänder und anderes Dichtungsmaterial zu kaufen, um Fenster und Türen abzudichten. Doch das Leben in Jerusalem und Tel Aviv nahm seinen gewohnten Lauf. Niemand schien einen direkten irakischen Angriff zu erwarten.

Im Gegensatz zum Frühjahr, als auch offizielle Stellungnahmen an Panikmache grenzten, ist die Lage vergleichsweise ruhig. Zwar gab es, auch über Jerusalem, mehr Flugbewegungen als sonst üblich. Aber Schlangen vor den Ausgabestellen von Gasmasken wie noch im Frühjahr suchte man vergebens. Die Schulen blieben offen, der Verkehr rollte wie gewohnt. Der Kioskverkäufer auf der HaPalmach- Straße sagte, niemand sei wirklich beunruhigt. „Die Leute reden nicht einmal über die Angriffe“, sagte er. Und die ausländischen Botschaften haben ihre Mitbürger bislang nicht alarmiert, neue Gasmasken in Empfang zu nehmen.

Israels führender Militärhistoriker und Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, Martin van Crefeld, hält einen irakischen Angriff auf Israel für höchst unwahrscheinlich. Gegenüber der taz sagte er: „Damit würde Saddam ja beweisen, daß er noch über die Massenvernichtungswaffen verfügt, deren Besitz die USA dem Irak vorwerfen. Damit würde er den USA in die Hände spielen. Ich halte Saddam für einen rationalen Spieler“, sagte van Crefeld. Einen Sturz Saddam Husseins aufgrund der Angriffe erwartet er allerdings nicht. „Hoffentlich wird es Saddams Möglichkeit, Massenvernichtungswaffen herzustellen, etwas erschweren. Mehr kann man eigentlich nicht erwarten“, sagte van Crefeld.

In Ost-Jerusalem und verschiedenen Orten des Westjordanlandes demonstrierten am Morgen Palästinenser gegen den Angriff. Zahlreiche US-amerikanische Fahnen, die noch vor Tagen in Gaza so stolz aufgehängt wurden, gingen gestern morgen in Flammen auf. Der palästinensische Verhandlungsführer Saeb Ereikat verlangte einen sofortigen Stopp der Angriffe. „Nur mit friedlichen Maßnahmen können solche Konflikte gelöst werden“, erklärte er. Ein palästinensischer Hotelbesitzer in Ost-Jerusalem wies auf eine Diskrepanz in der Politik der US- Regierung hin: „Während der Irak mit Gewalt und mit militärischen Angriffen zum Wohlverhalten gezwungen wird, kann Israel tun und lassen, was es will“, sagte er.

Offiziell wurde die israelische Regierung wenige Minuten vor dem Angriff auf Bagdad informiert. Israels Ministerpräsident Netanjahu erklärte, daß Israel an dem Konflikt nicht beteiligt sei und deshalb außen vor bleiben wolle. „Im Falle eines Falles wissen wir, wie wir uns zu schützen haben“, sagte Netanjahu gleichwohl. Verteidigungsminister Jitzhak Mordechai räumte ein, daß US-Truppen bereits seit mehr als einer Woche den möglichen Einsatz von Patriot-Raketen zur Abwehr von Scud-Angriffen übten. „Wir sind auf alles vorbereitet“, erklärte er. US-amerikanische Militärhilfe stünde jederzeit zur Verfügung. Doch selbst unter Israels Politikern wurde die Wahrscheinlichkeit eines irakischen Angriffs auf Israel als gering eingeschätzt. Georg Baltissen, Jerusalem