Die Brüskierung der Vereinten Nationen

■ Als der Weltsicherheitsrat noch tagte, begann schon das amerikanische Bombardement von Bagdad. UN-Generalsekretär Kofi Annan ist doppelt getäuscht. Die Schwächung der UNO könnte der Nato den Weg bere

Die jüngste militärische Eskalation in der seit Ende des Golfkrieges schwelenden Irakkrise durch die USA und Großbritannien bedeutet eine Desavouierung der UNO. Sie dürfte zu einer weiteren Schwächung der Weltorganisation und ihres Generalsekretärs Kofi Annan führen.

Noch weniger als vor Beginn des Golfkriegs und vor den schon stattgefundenen Eskalationsrunden scherten sich Washington und London diesmal um die Beratungs- und Entscheidungsabläufe der UNO.

Der Militärschlag gegen Bagdad begann am Mittwoch abend gegen 17 Uhr (Ortszeit New York). Zu dieser Stunde beriet der UN-Sicherheitsrat gerade auf Antrag Washingtons über den neuen Bericht des Vorsitzenden der UN- Sonderkommission (Unscom), Richard Butler, über die „mangelnde Kooperation“ Bagdads.

„Dies ist ein trauriger Tag für die UNO und die Welt und auch für mich persönlich.“ Mit diesem resignativen Satz reagierte UNO- Generalsekretär Kofi Annan auf das Szenario, um dessen Abwendung er sich seit Anfang des Jahres bemüht hatte. Annan sieht sich auch durch Bagdad hintergangen. Mit hohem persönlichem Einsatz und großem diplomatischem Geschick war es Annan im Februar gelungen, den irakischen Diktator Saddam Hussein bei direkten Gesprächen in Bagdad zur Zusage einer uneingeschränkten Kooperation mit der Unscom zu bewegen. Damit konnte ein unmittelbar bevorstehender Militärschlag der USA und Großbritanniens erfolgreich verhindert werden.

Allerdings hielt sich Bagdad nicht an die gemachten Zusagen. Als sich die Situation Mitte November erneut erheblich zugespitzt hatte, konnte der UNO-Generalsekretär Saddam Hussein mit einem Brief, in dem er eine baldige „Bilanzierung“ der Erfüllung der UNO-Abrüstungsauflagen durch den Irak in Aussicht stellte, ein zweites Mal immerhin zum verbalen Einlenken bewegen. Doch auch diesmal brach Saddam Hussein sein Versprechen. Nach dieser Erfahrung sind zumindest seitens Kofi Annans keine kritischen Worte über die militärischen Maßnahmen der USA und Großbritanniens zu erwarten.

Kritik gibt es allerdings – unter anderem von den Ständigen Sicherheitsratsmitgliedern China und Rußland. Sie richtet sich nicht nur gegen das unilaterale Vorgehen der beiden Westmächte, sondern auch gegen die Abzugsanordnung von Unscom-Chef Butler. Dazu sei „nicht Butler, sondern nur der Sicherheitsrat selbst befugt gewesen“, erklärte Moskaus UNO-Botschafter Sergej Lawrow. Und sein chinesischer Amtskollege Quin Huasam nannte den jüngsten Bericht Butlers „einseitig“.

Derartige Kritik oder zumindest kritische Anfragen an die Rolle, die Butler spielt, sind auch von westlichen UNO-Diplomaten zu hören – allerdings nur hinter vorgehaltener Hand.

Öffentlich kritisch äußerte sich lediglich Schwedens Botschafter Hans Dahlgren. Der UNO-Sicherheitsrat hätte vor Beginn der Angriffe zumindest „informiert“ werden sollen. Besonders stark für multilaterale Rüstungskontroll- und Abrüstungsabkommen engagierte UNO-Staaten wie Schweden, Australien, Südafrika, Mexiko oder auch das Nato-Mitglied Kanada widersprechen grundsätzlich der Auffassung Washingtons, das Problem der Massenvernichtungsmittel-Kapazitäten des Irak oder gar die Weiterverbreitung chemischer, biologischer Waffen in anderen Ländern lasse sich mit militärischen Maßnahmen lösen.

Washington bemüht sich derzeit, die Nato auf eine derartige Politik der „militärischen Counterproliferation“ festzulegen. Insofern sind die jüngsten Angriffe auf (vermutete) irakische B- und C- Waffenanlagen oder -vorräte auch ein Signal Washingtons, um gegenüber den 15 Nato-Partnern die angebliche Bedrohung der Allianz durch mit Massenvernichtungswaffen operierende „Schurkenstaaten“ zu unterstreichen. Doch könnten die jüngsten Angriffe auf Irak die ohnehin zähen Bemühungen innerhalb der UNO, zu völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen über die Verhinderung der Proliferation zu kommen, noch zusätzlich erschwert werden.

Aber möglicherweise ist genau dieser kontraproduktive Effekt von Washington beabsichtigt: Er liefe auf eine weitere Schwächung der UNO und ihren Ansehensverlust in der Weltöffentlichkeit hinaus. Das wiederum erleichtert die Übertragung bisheriger UNO- Aufgaben an die Nato und die Festlegung der Allianz auf eine Politik der „militärischen Counterproliferation“. Andreas Zumach, Genf