Farbe macht den Zwerg zum Menschen

Wer beim Weihnachtsgeschenk für Großtante Ilse oder Onkel Gerhard noch unschlüssig ist, könnte im polnischen Städtchen Bucze fündig werden: Zwerge, nichts als Zwerge, aber auch weiße und schwarze Jazzmusiker, die dort vor allem für den deutschen Markt produziert werden. Ein Winterstreifzug duch das bunte Sortiment der bekannten Geschmacksverirrungen  ■ Von Henk Raijer

Kitsch geht am besten. Rote Mütze, viel zu große Schuhe und immer ein Lächeln im Gesicht – so was kaufen die Leute.“ Gerard Jasinski kennt die Wünsche seiner Kunden, es sind zu über neunzig Prozent Händler aus Deutschland und den Niederlanden. Seit gut fünf Jahren produziert er auf dem Gelände einer ehemaligen LPG im westpolnischen Bucze Gartenzwerge – in jeder Größe und für jeden Geschmack. „Gartenzwerge müssen kitschig sein“, sinniert Jasinski, während er das von Wind und Wetter zerfressene Tor zu seiner Werkshalle öffnet, die bis 1945 den Deutschen und danach den Russen als Kriegsgefangenenlager diente.

„Gartenfiguren aller Art. Großhandel, Produktion und Export“, hatte es in farbigen Lettern auf dem Schild entlang der A2 nach Poznan geheißen. Was der vierzigjährige Jasinski in seiner Zwergenmanufaktur kurz vor Swiebodzin auf Lager hat, verdient den Zusatz „aller Art“ allemal. „Die Zwerge und andere Motive aus eigener Produktion sind mein Hauptgeschäft“, sagt der Kleinunternehmer, der für Fertigung und Vertrieb drei Leute beschäftigt. „Aber Gartenfiguren gehen nur von Anfang April bis Mitte August. Wenn der Herbst kommt, kaufen die Leute nichts mehr für draußen. Deshalb handele ich zusätzlich mit Geschenkartikeln und Kleinmöbeln, um im Winter wenigstens meine Unkosten zu decken.“

Und so füllt Jasinskis dreihundert Quadratmeter großes Lager gegenüber dem Bahnhof von Bucze ein knallbuntes Sortiment an Geschmacksverirrungen jeglicher Größenordnung: Störche, Schwäne, Bulldoggen, Wildschweine, Clowns, Indianer, Schneewittchen, Pferde, Hirsche, Daisy Duck, Tweety und Sylvester, Freiheitsstatue klein für sechzig Mark, Miss Liberty groß für hundert Mark, Windmühlen, Dick und Doof, Hirtenjunge mit Schaf, Meerjungfrauen und Delphine, die Glastische tragen (siebzig Mark), Marilyn und Elvis, Trockenblumenkollagen und Korbwaren. Und natürlich Hunderte von Gartenzwergen, in allen Ausführungen und Farben: Zwerge mit Pfeife, mit Spaten oder Schubkarre, mit Rasenmäher, Würstchengrill oder Bierfaß, Zwerge mit erhobenem Stinkefinger.

Hat er auch polnische Kundschaft? „Nein, in Polen hat so etwas keine Tradition, höchstens unter den Zigeunern. Ich beliefere zwar einige Händler in Slubice. Aber auf dem Markt dort verkaufen sie die Sachen nur an Kunden von jenseits der Grenze weiter“, erklärt Jasinski, in dessen „Büro“ eine Straßenkarte Deutschlands die Wand hinter dem Schreibtisch schmückt. „Die Deutschen mögen unsere Figuren, weil sie billig sind.“

Fünfzehn Mark berechnet er seinen Kunden für die Standardausführung. In Deutschland wird das putzige Männchen dann je nach Entfernung von der polnischen Grenze für mindestens 39 Mark unter die Leute gebracht. In der Regel verlassen pro Bestellung etwa 140 Stück das Werk. „Einen solchen Auftrag schaffen wir in einer Woche“, erzählt Zwergmeister Jasinski, der in den Sommermonaten bis zu 30.000 Mark Umsatz macht. „Die gewünschten Muster haben wir immer vorrätig.“ Eine Firma in der Nähe liefere ihm die Formen, wie er sie haben will. „Zweihundertmal benutzen wir eine Form, danach ist sie verbraucht.“

In Jasinskis „Fabrik“ stehen immer zwanzig bis dreißig Musterzwerge stramm. Die anthrazitfarbenen, gut einen halben Meter hohen Witzkameraden aus Polyester bilden einen Kontrast zu den weißen Wänden der Fertigungshalle und dem Fußboden, der mit einer feinen Kreideschicht überzogen ist. Es riecht nach Verdorbenem. „Das sind die Rückstände der Substanz, aus der wir die Zwerge herstellen“, so Jasinski, „da bleibt schon mal was in den Hohlformen hängen.“

Herzstück der Fabrik ist die Giftküche. In dem übel riechenden Verschlag im Fonds der Halle liegen Farbpistolen, Töpfe und Kellen auf einem Regal, Fässer und Farbeimer wurden scheinbar achtlos in einer Ecke abgestellt. Während ein Arbeiter den hohlen Kunststoffzwerg kopfüber in ein Eisengestell mit Lenkrad hängt, bereitet sein Kollege mit einem Quirl das Gemisch aus flüssigem Polyester und Kreide zu. Eine Prise Härter dazu, fünf Minuten ziehen lassen – fertig ist der Stoff, aus dem die Zwerge sind.

Nun ist es an der Zeit, das Gemisch in die Zwergenform hineinzugießen. Während einer der Arbeiter die Brühe durch die kleine Öffnung unter den Füßen in den Hohlraum kippt, dreht und schwenkt sein Kollege wie bei einem Zementmischer fünf Minuten lang das Rad und achtet darauf, daß sich die Substanz gleichmäßig an den Innenwänden der Kunststoffhülle verteilt. Und wenn dann nach einer halben Stunde die Hülle, die von zwei Seiten zu öffnen ist, entfernt wird, erblickt ein neues Wesen das Licht der Welt – ein wenig blaß um die Nase zwar, doch klar erkennbar schon das unvermeidliche Lächeln.

Erst Farbe macht den Zwerg zum Menschen. Nach dem Feinschliff bekommt der kleine Mann seinen obligatorischen weißen Bart verpaßt, danach spritzt einer der Männer mit der Farbpistole das Rot an die richtigen Stellen. Auf den Anstrich wird schließlich Bootslack aufgetragen, „damit die Farbe hält und der Knabe im Winter nicht friert“, erklärt Jasinski.

„Ganz ungefährlich ist die Arbeit hier nicht“, räumt er ein. Seit vor einigen Monaten die Warschauer Zeitung Gazeta Wyborcza über die gesundheitlichen Gefahren berichtete, denen viele Arbeiter bei der Erzeugung von Gartenzwergen ausgesetzt seien, sind die Behörden hellhörig geworden und schicken nun Inspektoren zum Überprüfen, ob die Hersteller die zulässigen Grenzwerte einhalten. „Es ist nicht so sehr der Staub, der nach dem Schleifen im Raum hängt“, sagt Jasinski. „Vielmehr werden beim Lackieren Dämpfe frei, die krank machen.“

Er und seine Leute tragen immer Masken: den einfachen Mundschutz beim Schleifen und Gummimasken mit Sauerstoffbehältern beim Lackieren. „Bei den Messungen waren unsere Werte in Ordnung“, sagt der Chef. „Allerdings beziehe ich meine Lacke von Firmen, die umweltverträgliche Produkte herstellen.“

Fortschritte hat es nicht nur bei der Verarbeitung gegeben. Wie die rund fünfzig anderen polnischen Betriebe dieser Art beschränkt sich das Werk in Bucze längst nicht mehr auf die Herstellung von Gartenfiguren. Vor ein paar Jahren witterten niederländische Händler einen neuen Markt und brachten ihren Geschäftspartnern in Polen plötzlich Muster ganz anderen Zuschnitts mit: Donald Duck, Tweety oder Asterix fürs Kinderzimmer, Charly Chaplin, Elvis oder Cowboys für Restaurants und Clubs mit amerikanischem Ambiente. „Seither entwickeln sich die Dinge so schnell, daß man kaum noch hinterherkommt“, sagt Jasinski. „Der Markt verlangt ständig Neues.“

Nicht nur die Mode, auch die Zollbestimmungen bringen es mit sich, daß er auch Ladenhüter im Regal stehen hat. „Das hat nicht unbedingt was damit zu tun, daß Motive wie etwa die Duck-Familie oder Tweety keine Käufer fänden. Im Gegenteil, das Interesse ist groß, zum Beispiel an Donald als Tischständer, den ich selbst entworfen habe“, erzählt Jasinski stolz. „Aber das sind private Spielereien, Disney-Motive sind rechtlich geschützt, Nachahmungen verboten. Sie kommen für den Export nicht in Frage.“

Welche Blüten die Mode in seiner Branche treibt, erfuhr Jasinski vor kurzem bei einer Bestellung aus dem Badischen. „Der Händler, der seit Jahren regelmäßig bei mir einkauft und außer Zwergen und Windmühlen schon mal mannshohe Jazzmusikanten mit nach Deutschland nimmt, erklärte mir am Telefon, seine Abnehmer hätten ,allmählich genug Neger'. Sie wollten jetzt Saxophonisten und Bassisten mit europäischen Gesichtern. Das ist für uns kein Problem“, erzählt Jasinski, „die Formen sind die gleichen wie vorher. Wir schleifen einfach ein wenig an Nase und Lippen herum, verpassen dem Typen einen anderen Haarschnitt und machen Gesicht und Hände eben weiß statt schwarz.“

Henk Raijer, 45, ist Redakteur der taz. Er lebt in Warschau und Berlin