„Ethischen Grundsätzen verpflichtet“

■ Bundesausländer-Beauftragte kritisiert Abschiebepolitik in Bremen / Beck kündigt neue Berichte als Asylrechtsgrundlage an

Innensenator Ralf Borttscheller (CDU) liegt mit der Bremischen Evangelischen Kirche im Clinch, weil er deren Kirchenasyl als „Rechtsbruch“ bezeichnet hat. Flüchtlingsinitiativen sind schlecht zu sprechen auf Bürgermeister Henning Scherf (SPD), weil der sich zur 50-Jahrfeier für die Deklaration der Menschenrechte nicht blicken ließ. Über diese Konflikte – wie etwa das umstrittene Kirchenasyl – sprach die taz mit der Ausländerbeauftragten der neuen rotgrünen Bundesregierung, Marieluise Beck, die ebenfalls aus Bremen stammt und als Grünenpolitikerin intime Kennerin der hiesigen Politikszene ist.

taz: Innensenator Ralf Borttscheller hat Kirchenasyl als Rechtsbruch bezeichnet. Können Sie das nachvollziehen?

Marieluise Beck, Bundesausländerbeauftragte: Ich würde sagen, das ist ein politischer Vorgang, den man auch politisch bewerten muß. Das Kirchenasyl wird durchgeführt nach sehr reiflicher Überlegung von Gemeindemitgliedern, die aus ethischen und humanitären Gründen einzelnen Menschen Schutz und Unterschlupf gewähren, weil diese Menschen von den staatlichen Instanzen außer Landes gewiesen werden sollen. Die Kirche nimmt für sich nicht in Anspruch, daß sie gegen die staatlichen Entscheidungen ein eigenes Recht hätte. Sie geht aber davon aus, daß noch einmal Zeit gewonnen werden muß durch das Kirchenasyl, um nach Lösungen zu suchen, die den Menschen gerecht werden. Das ist die Intention des Kirchenasyls, die sich in der überwiegenden Anzahl der Fälle auch positiv auswirkt, weil Lösungen gefunden werden. Angefangen bei der Gewährung des Politischen Asyls nach Artikel 16 a des Grundgesetzes bis hin zu einer einfachen Duldung oder der Ausreise in einen sicheren Drittstaat.

Versagt da nicht das Rechtssystem? Diese Menschen haben ein vollständiges Asylverfahren hinter sich. Trotzdem stellt sich in vielen Fällen nach dem Kirchenasyl heraus, daß sie doch in Deutschland bleiben dürfen.

Die deutsche Bischofskonferenz hat dazu im November diesen Jahres ein sehr differenziertes 30seitiges Papier herausgegeben. Darin wird darauf hingewiesen, daß wir nach der Reform des Asylrechts 1993 eine rechtliche Konstruktion haben, die zum Teil den Fluchtgründen der Menschen nicht mehr entspricht. Es geht insbesondere um die nichtstaatliche Verfolgung.

Was ist das?

Wir haben zum Beispiel in Algerien terroristische Djihad-Kämpfer, die vom Staat verfolgt werden und darum hier einen Asylanspruch hätten. Wenn aber diese Kämpfer die Bevölkerung terrorisiert haben, haben die hier trotzdem keinen Anspruch auf Asyl. Das ist absolut widersinnig. Wir müssen die nichtstaatliche Verfolgung in unser Asylrecht miteinbeziehen.

Nun sitzt in Bremen aber ein Ehepaar aus Togo im Kirchenasyl, das sich vom Staat verfolgt fühlt.

Es hat in der vergangenen Zeit mehrfach Massenabschiebungen nach Togo gegeben. Als Grundlage dienen dafür immer wieder die sogenannten Länderberichte, die vom Auswärtigen Amt kommen und die die wahren Verhältnisse im Land oft nicht darstellen. Das liegt daran, daß diese Länderberichte diplomatisch abgefaßt sind. Außerdem wissen wir, daß Mitarbeiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge selbst am Erstellen der Berichte beteiligt sind. Damit können diese Berichte nicht mehr neutral sein.

Wie sieht das im Fall Togo aus?

Dieser Fall geht noch einmal eine Dimension weiter. Dort hat die Europäische Union beschlossen, wegen ständiger Menschenrechtsverletzungen die Entwicklungshilfegelder zu sperren. Darum kann ich den Bremer Innensenator nur dringend bitten, von dem Recht Gebrauch zu machen, die Abschiebungen auszusetzen und neue Berichte abzuwarten.

Diese Berichte werden aber von den alten Diplomaten erstellt. Was soll sich daran plötzlich ändern?

Ich habe erste Gespräche mit Außenminister Joschka Fischer geführt, um ihm deutlich zu machen, daß ein Teil seiner Politik quasi zur Innenpolitik gehört, weil Flucht und Asyl stark zu tun haben mit den Verlautbarungen, die aus seinem Haus kommen. Darum muß sich Fischer bewußt sein, daß die neuen Länderberichte unter einem neuen Focus abgefaßt werden müssen. Und zwar unter dem Blickwinkel der Menschenrechte – sowohl im Berichtsland als auch in Deutschland. Und ich gehe davon aus, daß ein neuer politischer Wind unter der grünen Führung auch bis in die unteren Etagen weht und sich somit auch auf diese Länderberichte erstreckt. Sie bestimmen das Leben von Menschen auch hier bei uns im Inland und sind darum zu wichtig, weil sie eben Gerichts- und Asylverfahren bestimmen.

... und damit die Politik der jeweiligen Innenbehörden.

Exakt. Darum wird die neue Regierung diese Länderberichte hinsichtlich der Menschenrechte bewußter abfassen als bisher.

... und sie dementsprechend auch verändern ?

Natürlich, sonst bräuchten wir keine rotgrüne Regierung.

Es gibt in Bremen zur Zeit eine heftige Debatte auch um die sogenannte Altfallregelung. Denn Bremens Innensenator Borttscheller weigert sich, die Abschiebungen dieser Fälle auszusetzen, obwohl die Bundesregierung eine Neuregelung plant, die diesen Menschen ein weiteres Bleiberecht sichern könnte. Wie beurteilen Sie diese Haltung?

Da bin ich mir einig mit dem Bundesinnenminister – alle Länder wären gut beraten, jetzt nicht noch die Menschen außer Landes zu bringen, die künftig von der Neuregelung profitieren können. Die Innenminister sind auch ethischen Grundsätzen verpflichtet und können aus humanitären Gründen Abschiebestopps aussprechen.

Interview: Jens Tittmann