Festliche Wermutstropfen

Eine melancholische Betrachtung über Beziehungs- und Festtagsökologie sowie eine Reihe guter Tropfen für den weihnachtlichen Gaumenschmaus  ■ Von Eberhard Schäfer

„Was machst du denn so an Weihnachten?“ Diese Frage gehört zweifellos zu den meistgestellten in diesen adventlichen Tagen. Bekanntlich ist in diesen Zeiten nichts mehr selbstverständlich, nicht einmal ein eigentlich so schönes Fest wie Weihnachten. Fragen über Fragen: Geschenke – ja oder nein, und wenn ja, für wen und für wieviel Geld; Essen: was, wann, vor allem aber mit wem und wo; außerdem: welche bei sonstigen Elternteilen lebenden Kinder soll man wann abholen bzw. zurückbringen – und so weiter und so fort. Kurz: Alles muß man besprechen, aushandeln und zu allem Unglück auch noch entscheiden.

Da sind viele ZeitgenossInnen überfordert, und die einfachste Lösung ist hier wie auch in vielerlei anderen Problemlagen die Flucht. Ökologisches Gewissen hin, Weihnachtsgeld her: Nichts wie weg, auf die Kanaren oder noch besser, aber auch noch teurer, ins unchristliche Marokko, wo es nicht nur keinen Winter, sondern auch keine Tannenbäume gibt. Ohne Engel-, Glöcklein- und Lametta-Brimborium kann man im Hotelzimmer ganz intim den Bestsellerroman gegen die Hanf-Körpermilch austauschen. Und am ersten Weihnachtstag weiter am Strand braten, statt denselben unterm Weihnachtsbaum im heimeligen Familienkreis zu verzehren.

Da lobt man es sich doch, altmodisch, aber frohgemut im trauten Verbund der Kleinfamilie zu leben und Weihnachten, selbstverständlich, zu Hause zu feiern. Natürlich bedarf das einiger Vorbereitungen, aber für die Familie kann man gar nicht zuviel tun. Bei einem meiner Besorgungsgänge treffe ich einen alten Bekannten, Klaus, den beziehungsgeschädigten Studienrat. Er steigt aus seinem neuen Audi A4 TDI. Auch er ist einer von denen mit Fluchtticket in der Schublade, dieses Jahr allein, „ein Glück, da habe ich meine Ruhe“, die Kinder bleiben bei der Ex-Partnerin. Geradezu kokett fragt Klaus: „Und was machst du denn so an Weihnachten?“ „Feiern natürlich“, antworte ich. „Mit der Familie. Wir machen ein schönes Essen.“ Ich neige zu Bekenntnissen, daher fahre ich fort: „Ich besorge gerade den Wein dafür. Du weißt ja, ich nehme nur ökologisch angebauten. Und zum Fest soll es was Besonderes sein. Bei Vinum in der Danckelmannstraße 29 in Charlottenburg habe ich gerade einen Rotwein besorgt. Domaine Peyre Rose, Clos Syrah Lone, 1992er, zu 100 Prozent aus der Rebsorte Syrah. Coteaux du Languedoc, Mittelmeer. Brombeerfarben, Wildkräuterduft, unglaublich konzentriert. Für diese Qualität nicht mal teuer, 35 Mark.“ „Fünfunddreißig Mark?“ Klaus ist entgeistert. „Für eine Flasche Wein?“ Die Höflichkeit gebietet, jetzt keine Diskussion anzufangen. Deshalb frage ich Klaus nicht, wieviel eigentlich das gediegene Holzlenkrad seines Audis gekostet hat, sondern täusche Eile vor. „Aber ja doch, an Feiertagen! Und viel Spaß auf La Gomera.“

Ich muß noch ein Geschenk für meine alte Freundin Petra besorgen. Sie fliegt nach La Gomera. Mit Töchterchen, der Sohn, höre ich, reist mit Papa auf die Nachbarinsel. „Ich muß hier weg“, sagt sie, „diese geheuchelte Familienidylle halt' ich nicht aus.“ Im Hotel gibt es immer eine Weihnachtsfeier mit vielen EngländerInnen und noch mehr Alkohol, aber sie trifft mitunter auch nette alleinstehende Lehrer aus Berlin. Petra schätzt Ökowein, da fällt mir das Schenken leicht. Bei Autos & Weine, Willmanndamm 18 in Schöneberg, kaufe ich für sie eine Flasche vom 1997er halbtrockenen Riesling, Pündericher Marienburg, erzeugt von Rita und Clemens Busch. Ein exzellentes pädagogisches Geschenk (ich neige zum Pädagogisieren) für Petra, die noch immer meint, Ökowein sei weniger gut als konventioneller. „Er darf ruhig etwas schlechter schmecken und auch etwas teurer sein – Hauptsache Biowein“, hält Petra ihr Öko- Credo hoch. Zudem kann man gemeine Soave-TrinkerInnen wie Petra mit diesem Wein auf sanfte Art an die charakteristische Säure der Moselrieslinge heranführen.

Ich muß die weinmäßige Ausstattung der häuslichen Festtagstafel vollenden. Als Aperitif soll's Champagner sein. Eine ganze Flasche ist zuviel für zwei Alk-TrinkerInnen in der Familie. Gut, daß es beim Rebgarten, Bergmannstraße Ecke Mehringdamm, gerade die „halbe“ Flasche von Fleury gibt, für 26,50 DM. Dann fahre ich noch in die Goltzstraße 23 und hole bei Sekt & Wein den 1995er Rosso No. 4 (14,90 Mark), Fritz Croissants feinen, authentischen Chianti, der das Pasta-Zwischengericht begleiten wird. Zufrieden fahre ich dem Heimathafen entgegen und denke: So viel guter Wein, und kostet zusammen ein Bruchteil von dem, was Klaus für sein Holzlenkrad bezahlt hat. Ganz zu schweigen von den Preisen für die Kurzzeit-Exile. Und von den Alimenten.

Daheim begrüßt mich Beate. Sie strahlt: „Übrigens, Gerd hat uns eingeladen zum Weihnachtsessen. Eins von seinen Kindern ist auch da und Gabi, seine neue Freundin. Ich habe gleich zugesagt, weil, mit anderen ist's doch viel netter als zu Hause. Da sind wir doch sowieso dauernd zusammen. Ich habe gesagt, du als Experte besorgst bestimmt gern den Wein. Ruf doch noch mal bei Gerd an und besprich das mit ihm.“