Überfälle als Freizeitbeschäftigung

■ Mit 781 Überfällen auf Kneipen und Geschäfte in den ersten elf Monaten des Jahres wurde eine Rekordmarke erreicht. Häufigste Täter sind Jugendliche in Neukölln und Kreuzberg

Zwar ist die Zahl der Straftaten 1998 insgesamt kostant geblieben. Allerdings registrierte die Polizei wesentlich mehr Überfälle auf Kneipen und Geschäfte. Als besorgniserregend bezeichnete Hans-Ulrich Voß, Direktor des Landeskriminalamtes, bei der gestrigen Vorstellung der aktuellen Polizeistatistik vor allem die Unerreichbarkeit mancher Täter.

„Wir haben es zum Teil mit Jugendlichen zu tun, die sich seit Jahren in den Mühlen von Polizei und Justiz befinden und sich dadurch nicht sonderlich beeindrucken lassen“, so Voß. Bei ihnen, nach Voß' Einschätzung fünf bis zehn Prozent aller jugendlichen Straftäter, müsse darüber nachgedacht werden, ob man mit dem Jugendstrafrecht weiterkomme. „Das Prinzip ,Erziehung statt Strafe‘ greift bei ihnen offenbar nicht.“

Anders als in den Medien häufig dargestellt, habe man es nicht mit von Hintermännern aus dem Ausland organisierten „Banden“ zu tun. „Oft kommen die Jugendlichen spontan zusammen“, so Voß. Auffällig sei auch, daß in demselben Maße, in dem Raubüberfälle auf Geschäfte zunahmen, die Zahl der „jugendtypischen“ Delikte wie etwa Jackenklau abnahm. Das, so Voß, lege den Schluß nahe, „daß sich das verlagert hat“.

Etwa die Hälfte der Überfälle auf Kneipen wird in Kreuzberg und Neukölln von dort lebenden Jugendlichen verübt. Die Täter, von denen jeder dritte gefaßt wird, seien „sämtlich ohne fundierte Schulbildung“. Auch die soziale Kontrolle durch die Familie fehle oft völlig. Als Motive für die Taten würden „Langeweile“ und „Mangel an Freizeiteinrichtungen“ genannt. Als Konsequenz forderte Voß mehr jugendpolitisches Engagement, verwies aber auch darauf, daß „diese Faktoren sicher nicht zwangsläufig in Kriminalität münden müssen“.

Optimistischer stimmen andere Teile der Kriminalstatistik: Diebstahlsdelikte nahmen um 7,6 Prozent ab; die Zahl der Raubtaten insgesamt sank um 8 Prozent auf 7.795. Vor allem KFZ-Diebstahl, Handtaschenraub sowie Überfälle auf offener Straße seien rückläufig, so Polizeipräsident Hagen Saberschinsky. Selbiges gelte für Straftaten in Bussen und Bahnen: Dort sank die Zahl der Körperverletzungen von 444 auf 246, die der Überfälle von 96 auf 67.

Deutlich steigend sind die Zahlen bei Betrug und Wirtschaftskriminalität. Aufgrund verstärkter Kontrollen ertappte Schwarzfahrer fielen dabei ebenso ins Gewicht wie Delikte des Kapitalanlagebetrugs und im Rahmen des Warenwirtschaftsverkehrs.

Insgesamt ist die Zahl der Straftaten um 0,1 Prozent gesunken; die Aufklärungsquote ist gar um 1,8 Prozent auf 49,6 Prozent gestiegen. Vor allem in der für Kreuzberg und Neukölln zuständigen Polizeidirektion 5, in der das Berliner Modell umgesetzt wurde, sei die Aufklärungsquote gestiegen, teilte Innensenator Eckart Werthebach (CDU) mit. Werthebach forderte erneut die zügige Reform eines neuen Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG), das unter anderem verdachtsunabhängige Kontrollen ermöglichen soll: „Es ist unsere verdammte Pflicht, der Polizei dies an die Hand zu geben“, so der Innensenator. Jeannette Goddar