Allein der Ball schweigt

Nur wenige Bücher, die die Welt braucht: Eine subjektive Jahresbilanz des Fußballbuchmarktes – mit Geschenkratgeber  ■ Von Peter Unfried

Puuh. Die großen Schlachten um und mit dem Fußball sind ja für dieses Jahr geschlagen. Außer der auf dem Buchmarkt, wo zur Stunde noch der Weihnachtskrieg tobt. Im Vergleich zu anderen Geschäften ist der Markt Buch/Fußball noch klein – aber wachsend. Wenn man die wenigen Topseller hier mal vernachlässigt (Statistiken, Jahrbücher und Vereinsmonographien sowieso) und sich den im weiteren Sinne anspruchsvollen Fußballbüchern zuwendet, halten sich die Verkäufe in Grenzen. taz-Autor Bernd Müllenders „Fußballfrei in 11 Spieltagen“ kann mit etwa 14.000 verkauften Exemplaren schon als echter Renner gelten. Der Drogenratgeber wurde häufig als Satire mißverstanden. Es hat aber (mindestens) einen echten Heilungserfolg zu verzeichnen. Sein Lektor schaut nicht mehr Fernsehfußball.

Leseprobe: „Die verblüffte Freude Ihrer Liebsten wird Sie entschädigen für das bange und fremde Gefühl, das Ihnen das Verlassen der Wohnung zur Anstoßzeit bereiten mag.“

Rainer Stephans „Lokalderby“ hat inzwischen fast die Erstauflage verkauft. Die lag bei 3.500. Man muß man davon ausgehen, daß Stephan eines der interessanteren Bücher geschrieben hat, die 1998 Fußball und erzählende Literatur verbinden. Das bedeutet nicht unbedingt Weltklasse. Das solide heruntergerotzte „Lokalderby“ über Schlaganfälle und Doping im Münchner Fußball ist nicht ganz der „satirische Geniestreich“, den der Klappentext verspricht. Eigentlich ist es auch kein Roman, sondern ein Weglese-Krimi, dessen auf den Voyeurismus der Leute spekulierendes Spiel mit den zur Kenntlichkeit unverzerrten Figuren des Münchner Fußball-Establishments funktioniert.

Leseprobe: „Lollo Markus redete. Er redete und redete, aber er sagte nichts – und das auf Fränkisch.“

Weniger funktioniert die Verbindung Krimi und Fußball bei Titus Simons „Mord im Abseits“ (Elefanten Press 1998, 189 S., 18,90 DM). Das Werk über Mord im schwäbischen Provinzamateurfußball hat aber gewissen Charme und vielleicht etwas zu vernichtende Kritiken bekommen.

Leseprobe: „Sind Sie die Schwester von Nobbi Moreno?“ „Ja.“

Ein Ergebnis von 1998: Es gibt weiter keinen deutschen Fußballroman, dessen literarisches Niveau ihm Existenzberechtigung über die Fußballkundschaft hinaus verliehe. Auch „Der Aufsteiger“ (Rowohlt 1998, 10 DM) ist keiner. Sven Böttcher, der auch mit/für Reinhold Beckmann geschrieben hat, liefert hier solide Kolportage, schlau verflochten mit der real existierenden Bundesliga. Dennoch gelingt es ihm nicht, eine überzeugende Sprache zu finden oder glaubhafte Figuren zu entwickeln. Qualitativ ist das immer noch besser als die zuletzt in diesem Genre unternommenen Versuche.

Leseprobe: „Sag mal, Otto, willst du mich verarschen?“ sagte Wehlmann und legte die „Sport- Bild“ auf den Schreibtisch seines Präsidenten.

Jens Weinreich und Thomas Kistners „Das Milliardenspiel“ brachte pünktlich zur WM die Frage auf den neuesten Stand, wem der Fußball gehört. Es ist das einzige Buch, das in den taz-Charts zweimal als „Buch des Jahres“ genannt wird (siehe unten). Fußballer werden dort als „nachwachsende Rohstoffe“ bezeichnet. Das heißt nicht, daß die Autoren zynisch sind, sondern die, die den Fußball verkaufen.

Fußballer-Biographien sind in der Regel handwerklich und inhaltlich simpel bis peinlich komponierte Jubelgesänge (siehe nebenstehenden Text). Jimmy Burns' in diesem Jahr in deutscher Übersetzung erschienenes „Die Hand Gottes“ ist anders. Burns ist offenbar von zwei Themen besessen: dem Fußballer und Menschen Diego Maradona – und der Wahrheit. So kann er Innenansichten Maradonas liefern, die sich Diego nicht hätte träumen lassen.

Leseprobe: „Als Maradona das Buch nahm, übersah er die Widmung.“

Was die WM-Bücher des Jahres betrifft, so bleibt es dabei: Es gibt keine, wie man sie sich erträumt, umfassend, analytisch, phantasiereich, ein bisserl verspielt. Wenn man das akzeptiert, hat der Berlin Verlag ein akzeptables Buch abgeliefert. Längst nicht alle der dafür eingekauften Schreiber waren tatsächlich in Frankreich, aber Marcel Reif, der als Autor firmiert („Frankreich '98“, Sport Verlag Berlin, 194 S., 39,80DM), war dort und hat sogar seine Kolumnen selbst geschrieben.

Leseprobe: „Es kam, wie es kommen mußte.“

taz-WM-Korrespondent Christoph Biermanns WM-Tagebuch „Fußball ist ein Spiel für 22 Leute, und am Ende gewinnt immer Deutschland. Außer manchmal“ (Die Werkstatt, 1998, 144 S., 16,80 DM) wurde als anderes WM-Buch allenthalben gebührend gelobt. Das noch: Es hat subjektive und verspielte Momente und funktioniert komplementär.

Auch empfehlenswert:

Albert Hefele/Jürgen Roth: Alle meine Endspiele (tiamat, 1998, 192 S., 30 DM). Wie Menschen große Endspiele memorieren.

Eva Apraku/Markus Hesselmann: Schwarze Sterne und Pharaonen (Die Werkstatt, 240 S., 28 DM). Standardwerk zum afrikanischen Fußball.

Klaus Hansen: Mit Max Morlock durch die Woche. (Edition Der tödliche Paß, München 1998, 15 DM). Experimentelle Gedichte.

Günter Rohrbacher-List: Co Prins. Genie, Filou, Globetrotter. (Agon, 152 S., 29,80 DM). Lebensgeschichte eines Abenteurers, der einer der ersten Ausländer in der Bundesliga war.

Elke Wittich (Hg.): Wo waren Sie, als das Sparwasser-Tor fiel?“ (Konkret Literatur Verlag, 128 S., 24 DM). Zeitzeugen antworten.