■ Spätkauf
: Räubers Beichte

Bei Magenverstimmung, weihnachtlicher Depression, Erkältung und Überhitzung der familiären Nestwärme, wenn man sich matt und fahrig auf nichts mehr zu konzentrieren vermag, dann hilft manchmal das Lesen von Märchen weiter. Erst eins, dann noch eins und noch eins, und bald kann einem die ganze Welt den Buckel runterrutschen. Die italienischen Märchen „Die Braut, die von Luft lebte“ sammelte Italo Calvino 150 Jahre nach den Brüdern Grimm als junger Lektor des Einaudi-Verlags. Die Frechheit, mit der die Wünsche hier die Wirklichkeit korrigieren, macht den Reiz der Märchen aus. Da erhält ein Jüngling, der seine 94jährige Braut, erbost über ihre Runzeln, in der Hochzeitsnacht kurzerhand aus dem Fenster geworfen hat, sie am nächsten Morgen, von Feen mit Jugend und Schönheit beschenkt, zurück. Eine Kaufmannstochter bricht den Stolz eines Prinzen, der ihr Herz mit einer Krone bestechen will, mit dem Satz: „Nehmt sie als Untersetzer für den Kochtopf“, und einem angehenden Räuber sagt sein Beichtvater: „Rauben ist Sünde. Aber du brauchst nur die Steuereinnehmer zu berauben, und es ist keine Sünde mehr.“ Der respektlose Ton würzt die Begegnung mit Herzensbrechern und Menschenfressern, Geschwistertreue und Verrat, Berge versetzenden Mäusen und Geschichten erzählenden Papageien. Als Taschenbuch sind Calvinos Märchen dieses Jahr bei dtv erschienen (19,90 DM), allerdings nur mit tintenkleckskleinen Vignetten bebildert. Katrin Bettina Müller