„Was Fischer macht, tut mir im Herzen weh“

■ Der Ärzteprotest gegen das Vorschaltgesetz zur Gesundheitsreform stößt nicht bei allen Betroffenen auf Zustimmung. Manch einer kann über seine streikenden Kollegen nur den Kopf schütteln

Frankfurt/Main (taz) – Der Internist Hartmut Schröter hat eine renommierte Praxis in Frankfurt- Sachsenhausen. Er ist kurz angebunden: „Wir streiken nicht! Ich halte das für absoluten Schwachsinn!“ Ohnehin hat er keine Zeit, sondern „alle Hände voll zu tun“: „Hier laufen Lungenentzündungen und Herzinfarkte rum!“ Schröter schüttelt den Kopf: „Manchmal verstehe ich meine Kollegen nicht mehr. Wir sind hier die Notfallversorgung außerhalb jeder politischen Dimension.“

Das, was Bernd Hontschik sagt, ist passagenweise nicht druckreif. Daß der Chirurg, der auf der Zeil in der Frankfurter Innenstadt eine gutgehende Praxis besitzt, nicht streikt, sei „doch total klar“. Das Wort „Streik“ sei für „diesen Skandal“ völlig unangebracht, denn „den Ärzten wird doch nichts weggenommen“. Es gehe um Behandlungsspielräume. Und wenn über die geredet werde, dann müsse „über die Medizin überhaupt nachgedacht werden“.

Ein hoher Prozentsatz des Budgets werde in der Region „von den zwei bis drei Herzzentren abgesahnt“, so Hontschik. Die kleinen Praxen hätten es deshalb so schwer, weil die technische Medizin, die teuren Kardiologien, Großpraxen, Labors und Röntgenpraxen zum Verteilungskampf und Verdrängungswettbewerb angetreten seien.

Den Streik hält Hontschik für politisch, angezettelt von denjenigen, die bei „der Zerstörung des Solidarprinzips der Krankenkassen, die ihnen Gesundheitsminister Seehofer angetan hat, nicht einmal gequietscht haben“. Der Ausstand sei „eine Machtdemonstration“ der gewählten Funktionäre der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die auf den Verband zurückfalle.

Trotz Sympathie für die neue Bundesregierung ist Hontschik mit Andrea Fischer sehr unzufrieden: „Was die macht, ist Schwachsinn. Und das tut mir im Herzen weh.“ Daß die Patienten wieder entlastet werden – in Ordnung. Aber daß die Zuschüsse für ambulante Operationen wieder gestrichen wurden, obwohl sie den Krankenhausaufenthalt und damit 1.000 Mark pro Bett und Tag sparen helfen, das ist für Hontschik unverständlich. Soviel bekomme er selbst nicht einmal für die Operation.

Das sei, vermutet er, „reine Unkenntnis“ einer Laiin, die sich gegen die Ärztevertreter nicht behaupten könne: „Man muß so ein Gesetz nicht in fünf Wochen hinschustern.“

Streiken wird in Frankfurt, vermutet der Chirurg, höchstens ein Fünftel der niedergelassenen Ärzte: „Ich kenne überhaupt niemanden, der da mitmacht.“

Auch der „Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte“ protestiert gegen den Protest. Er hebt die Verbesserungen hervor, die in der kurzen Regierungszeit bereits erreicht worden seien, und wirft der Ärtzeschaft Eigennutz vor, zumal das Budget schon für 1998 erhöht worden sei. Der Verein kritisiert die falsche Verteilung des Geldes. Der Unmut der Ärzteschaft müsse sich eigentlich gegen die KBV-Funktionäre richten, in deren Reihen es mittlerweile ebenfalls „warnende Stimmen“ gebe.

Ganz ähnlich sieht es auch der Allgemeinmediziner Mathis Bromberger mit seiner kleinen Praxis in Frankfurt-Bornheim. Bromberger ist noch ein richtiger Hausarzt, der gründlich untersucht, sich Zeit für lange Gespräche und Besuche nimmt. Er verordnet Medikamente vorsichtig und liegt bei Krankengymnastik und Massagen „weit über dem Schnitt“. Ihn hatte die Seehofer- Reform hart getroffen. Jetzt will er erst mal abwarten, was ihm Andrea Fischer bescheren wird: „Das hat ja noch gar nicht richtig angefangen.“ Bromberger ist am Streiktag dennoch nicht in seiner Praxis, „eine unverschiebbare Reise“. Nun hat seine Sprechstundenhilfe alle Hände voll zu tun zu erklären: „Nein, er hätte nicht gestreikt, nie und nimmer.“

Der Allgemeinmediziner Wolfgang Reppin in Ginsheim- Gustavsburg bei Mainz hat sich für den Streik engagiert und verteilt im Namen seiner Kollegen Flugblätter gegen die Gesundheitsministerin. Er und seine Ginsheimer Kollegen standen gestern vormittag an einem Informationsstand und verteidigten den medizinischen Fortschritt von der Computer- bis zur Kernspintomographie. Sie werfen den Politikern vor, daß die Reform keine sei. Sie berücksichtige nicht, daß das, was den Patienten nutze, heutzutage wesentlich mehr Geld koste als früher: „Es kann nicht sein, daß die Ärzte durch Verminderung ihrer Honorare diese Mehrkosten auffangen müssen.“

Reppin selbst weiß allerdings auch, daß Einnahmeeinbußen der Ärzte hausgemacht sind, und reicht den Schwarzen Peter an die Patienten weiter. Er könne auch deshalb nicht ohne teure Geräte auskommen, weil die Patienten „sonst eben zur Konkurrenz gehen“. Heide Platen