Wo Ex-Kanzler Kohl den Rahmen sprengt

■ Die Bremer Fotokünstlerin Andrea Lühmann hat ihre Wohnung teilgeräumt und einen Ausstellungsort namens „Salon für aktuelle Fotografie“ dort schmuck eingerichtet

Im Treppenhaus des großen Altbremer Hauses Fahrräder und ein Kinderwagen, die Stufen in die erste Etage akurat mit Teppichstückchen bespannt: So stellen sich selbst in Sushibars jobbende Japanerinnen das ästhetische Vorspiel beim Betreten eines Bremer Kunstsalons vor. Und es ist Andrea Lühmann auch nicht eingefallen, daran etwas zu ändern und solche Erwartungen zu enttäuschen.

Seit Beginn dieses Jahres wohnt die Grafikerin – Schwerpunkt: Fotografie – nicht mehr nur in jener ersten Etage des Altbremer Hauses an der Parkallee, sondern nutzt sie auch als Salon für aktuelle Fotografie. „Ich hatte ein großes Zimmer übrig und zahle nicht wenig Miete“, zählt Lühmann die profanen Gründe auf, die sie in eine Galeristin verwandelten. Aber es gibt auch geistig-künstlerische: „Seit der Schließung des Fotoforums muß man lange warten oder weit fahren, um künstlerische Fotografie in Bremen zu sehen.“ Focke-Museum, Weserburg, Kunsthalle und wenige andere AusstellerInnen zeigen gelegentlich Fotografie, doch nur in Rotenburg an der Wümme und in Worpswede und – neuerdings auch – in Lühmanns Salon an der Bremer Parkallee haben sich GaleristInnen in der Region auf Fotografie spezialisiert.

Nach drei Einzelausstellungen sind jetzt Arbeiten von sage und schreibe 26 KünstlerInnen bei ihr zu sehen. Schon fast in Petersburger Hängung breiten sie sich an den, sagen wir, sienarot gestrichenen Wänden des eigentlichen Salons aus und quellen über den Flur bis hinein in die Küche. Das Spektrum ist ebenso breit wie die Herkunft der KünstlerInnen. Das gilt für den Wohnsitz wie für das künstlerische Sujet, denn einige TeilnehmerInnen dieser Foto-Gruppenschau sind unverkennbar MalerInnen oder BildhauerInnen.

Über direkte Ansprache und dann unter Ausnutzung des Schneeballsystems hat Andrea Lühmann diese Schar für ihre Salonschau zusammengetrommelt. Silke Thoss etwa ist mit ihren halb-splatterhaften Selbstinszenierungen dabei, aber auch Helga von Häfen mit einem à la On Kawara zur Serie gemachten, aber witzig-hintersinnigem Fototagebuch. Bei Bernd Arnold dagegen sprengt Ex-Kanzler Helmut Kohl noch immer jeden Rahmen, derweil sich der Hamburger Peter Dombrove in Museumsdioramen selbst zum Ausstellungsgegenstand stilisiert. In Dombrove erkennt Andrea Lühmann eine künstlerische Verwandtschaft, obwohl sie selbst etwas Untypisches – nämlich ein Schwarz-Weiß-Portrait Eartha Kitts – zeigt.

In ihren „typischen“ und farbigen seriellen Arbeiten mit Hochzeitspaaren, die im letzten Jahr in der Kassenhalle der Bremer Sparkasse oder vor kurzem in der Bremerhavener Galerie BIK zu sehen waren, tritt sie zwar selbst nicht auf, aber die Inszenierung ist ähnlich.

Was überhaupt ist gute Fotografie? Früher hätte die vor fast fünf Jahren an Jochen Gerz Projekt „Bremer Befragung“ beteiligte Andrea Lühmann gesagt: „Das, was mir gefällt.“ Doch inzwischen weiß sie, welche Rolle Ausbildungsorte in der Biografie spielen können und wie schnell Leute zu angesagten Stars werden – ein Geschäft übrigens, das, so meint sie, Jochen Gerz gut versteht. In Sachen guter Fotografie nennt sie Stichworte: Handwerkliche Qualität, Aussage – nicht unbedingt im politischen Sinn –, die durchschimmernde Idee. Kometen wie Sieverding, Tillmanns oder Gursky werden zwar an ihrem Salon vorbeischweben. Doch Lühmann weiß, daß viele gute FotografInnen noch zu entdecken sind.

Ob Andrea Lühmann in zehn Jahren über eine richtig große Galerie gebietet oder vor allem selbst künstlerisch tätig ist, kann sie heute noch nicht sagen. Aber von ihrem Salon hat sie einen genauen Begriff: Sie plant – typisch Salon – Lesungen und Gesprächsrunden in dem roten Zimmer. Und anderseits will sie ihren Salon in Projekten mit anderen AusstellungsmacherInnen auch mal aus der Parkallee in andere Räume verlagern.

Die Fahrräder und den Kinderwagen aus dem Treppenhaus könnte man bei Bedarf ja mitnehmen.

ck

Salon für aktuelle Fotografie, Parkallee 34; Öffnungszeiten: donnerstags 12 bis 14 und 17 bis 19 Uhr sowie nach Vereinbarung; Kontakt Tel.: 34 35 90